Sophie Reyer: Bluten

Sophie Reyer

Sophie Reyer | Foto: Konstantin Reyer

Sophie Reyer: Bluten

Autorin: Sophie Reyer
Titel: Bluten
ISBN: 978-3-8260-7746-3
Verlag: Königshausen und Neumann
Erschienen: 20.12.2023

Klappentext:

Ans Bluten denkt man, wenn man in dieses Haus geht. Das Haus mitten in Konnersreuth, in dem Therese Neumann, die angeblich Stigmatisierte, gelebt hat. Aber in diesem Bluten ist keine Demut. Im Gegenteil: ausgestellt wird es, zur Schau gestellt. Therese richtet sich auf und sieht mit klaren Augen in den Himmel hinein, lächelt über das Pochen, das sie an die Grenzen ihres Körpers erinnert. Was für ein schöner Schmerz! Denkt sie. Und: Bluten!

Das ist also Bluten! Dann dreht sie sich um und humpelt in Richtung Wald. Wie Engelsflügel wippen die Tannen ihr entgegen, und am Himmel liegt ein zarter Hauch, sodass Therese gar nicht weinen kann über all das Blut, selbst wenn es ihr weh täte.

Anni Lemberger

Rezension von Anni Lemberger

Die Geschichte der Therese Neumann aus Konnersreuth in Bayern – und wie sie selbst ihre Stigmatisierung erlebt haben könnte.

Am Anfang war das Kreuz, ein totes Stück Holz.

Und doch erlebte die „Schneiderinnenresl“ in ihren Visionen in diesem Stück Holz die Qualen und fühlte sich lebendig und schuldig, das todbringende Instrument „ihres“ Heilands gewesen zu sein.

Bereits bei der Geburt von Therese waren ihre Leiden, Visionen und Stigmata vorgezeichnet – denn die Resl war von Geburt an anders: Sie war zum Bluten geboren.

Der Münchner Journalist Michael Gerich fühlte sich währenddessen in seinen Träumen in einer grauen Kapsel gefangen, bevor er sich auf die Suche machte, um den Mysterien der Konnersreuther Resl näherzukommen. Zwei Suchende begegnen sich.

Eine großartige Romanerzählung zwischen Realität und Fiktion, zwischen Rationalität und Mystik.

Die Autorin begibt sich auf Spurensuche nach einer Frau, deren Phänomene bis heute nicht völlig geklärt sind. Ausgehend von Wahrnehmungen, wie sie Therese Neumann erlebt haben könnte, schickt die Autorin die Leser auf eine Reise zwischen religiösem Wahn und Wachheit, zwischen Hysterie und echter Pflegebedürftigkeit. Kann es tatsächlich sein, dass Resl viele Jahre ohne Nahrung und Flüssigkeit auskam und trotzdem wohlgenährt aussah?

Die Visionen der Protagonistin verleihen unserer Sprache eine völlig neue Bedeutung: Resl bricht sich das Kreuz, nachdem sie in ihren Visionen selbst zum Kreuz wird, das der Sohn Gottes zu tragen hat. Sie erblindet, weil sie die Leiden Christi nicht mehr ansehen kann, sie nicht mehr ertragen kann. Als die Protagonistin nach langer Ohnmacht erwacht, haben sich die Wunden Christi bei ihr eingebrannt und bluten regelmäßig – dennoch scheint sie geheilt zu sein.

Besonders interessant ist die Position der Protagonistin, wenn sie sich in ihrer Vision mit dem Kreuz Christi identifiziert – denn hier verwendet die Autorin für die Resl die „Ich-Position“.

Parallel dazu wird die Geschichte von Resls späterem Biografen erzählt, der sich ebenfalls in einer sehr nebulösen und ethisch bedenklichen Welt wiederfindet und den die Begegnung mit Neumann verändert.

Auf das Buch wurde ich durch die Autorin aufmerksam, von der ich schon einige sehr gute Erzählungen gelesen habe.

Das Cover des Buches weist auf eine Heilige hin, die Therese Neumann aber sicher nicht war – dennoch macht die Abbildung in Zusammenhang mit dem Titel neugierig.

Die Einleitung ist sehr mystisch und geheimnisvoll und verspricht große Spannung. Die Handlung ist geprägt von der tiefen Liebe der Mutter zu ihrer Tochter Resl, die durch ihre Visionen, ihre Leiden und ihre Pflegebedürftigkeit viel Aufmerksamkeit einfordert.

Obwohl am Ende der Tod beider handelnden Personen steht, verliert dieser jedoch seinen Schrecken und wird eher als erlösende Lichtgestalt wahrgenommen.

Bis heute diskutieren Resls Anhängerschaft und Kritiker sehr kontrovers darüber, ob sie eine Heilige oder eine Schwindlerin war. Reyer aber hat aus der Schneiderinnenresl in ihrer Erzählung das gemacht, was sie sicherlich war: eine leidende Frau.

Bei mir hat das Buch eine Kindheitserinnerung wachgerufen, denn die Geschichte der Frau mit den Stigmata war der erste Bericht, den ich als Leseanfängerin selbstständig in einer alten Illustrierten gelesen habe. Auch ohne meine emotionale Beziehung zu dieser Geschichte kann ich dieses Buch absolut empfehlen.


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