Deniz Ohdes gefeierter, 2020 erschienener Debütroman kam auf die Longlist zum Deutschen Buchpreis. Emily und Caroline Richards haben den beklemmenden Bildungsroman, der aufzeigt, wie Ausgrenzung und Abwertung funktionieren, für die Bühne bearbeitet. Am 27. April 2023 fand im Kleinen Theater die Österreichische Erstaufführung statt. Das Stück ist für Jugendliche und Erwachsene sehr zu empfehlen.
In Rückblenden wird die mühsame Schulzeit einer jungen Frau mit zwei Vornamen erzählt. Einen davon hält sie streng geheim, könnte er doch ihren Migrationshintergrund verraten. Ihr Vater beizt tagein, tagaus Aluminiumbleche, bevor er sich dann abends in der kleinen Kellerwohnung aus Frust betrinkt. Die Mutter kommt aus der Türkei, von weit her aus einem Dorf am Meer. Eine einfache, sanfte Frau, die alle Konflikte meidet, bis sie eines Tages ihre Koffer packt und das arme Mädchen der Willkür ihres Vaters überlässt.
Schon in der Volksschule werden Sophia und Pikka ihre besten Freunde, doch diese führen ein privilegiertes Leben. Sophia geht Voltigieren und zum Ballett und wird von ihrer feinen, sehr fürsorglichen Mutter mit gesundem Essen verwöhnt. Bei ihr hingegen gibt es zu Hause stets Tiefkühlpizza und der Tisch ist so voll mit Vaters leeren Flaschen, dass kein Platz zum Lernen bleibt. Kein Wunder, dass sie trotz aller Bemühungen oft ein Vakuum im Kopf hat. In der Schule ist sie ständig mit latentem Rassismus konfrontiert, von Mitschüler*innen, aber auch von Lehrerkräften. Diese finden, sie solle nicht so sensibel sein und einfach etwas robuster werden. Der Weg zur Matura ist daher äußerst mühsam, sie wird ständig übergangen und schließlich sogar zurückgestuft. Doch als sie mit 22 Jahren endlich die heiß ersehnte Matura schafft und auf die Uni kommt, bleiben Scham und die Angst, nicht zu bestehen, ihre ständigen Begleiter.
Ivana Nikolic gibt sehr überzeugend das kleine, schüchterne Mädchen mit dem geheimnisvollen zweiten Vornamen, das ganz im Bann seiner tristen Verhältnisse lebt. Als ihr der Ausbruch aus dem Milieu gelingt, verhilft ihr Lisa Furtner zu einer kräftigeren Stimme. Diese ist auch sonst schwer beschäftigt und erweist sich als sehr wandelbar. Während sie als mürrischer Vater etwas derb rüberkommt, darf sie als feine Sophia mit rosa Haarreifen und gestrenge, gefühllose Lehrerin ganz andere Töne anschlagen. Auch Rachid Zinaladin ist in unterschiedlichsten Rollen zu erleben: mit Schürze als geduldig leidende Mutter, mit Brille als strenger Französischlehrer.
Caroline Richards hat es geschafft, in vielen kleinen Szenen sowohl das desolate Elternhaus als auch die Ausgrenzung in der Schule deutlich zu machen. Ein Stück, das die Mär von der Chancengleichheit als solche entlarvt und dazu anregt, die eigenen Vorurteile zu hinterfragen.
„Streulicht“ – nach dem gleichnamigen Roman von Deniz Ohde. Theater TATU. Österreichische Erstaufführung. Bühnenfassung: Caroline Richards und Emily Richards. Regie: Caroline Richards. Musik: Yorgos Pervolarakis. Bühne, Kostüme und Video: Ragna Heiny. Dramaturgie: Emil Richards. Mit: Lisa Furtner, Ivana Nikolic, Rachid Zinaladin. Foto: Julia Fink
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