Autorin: Valerie Fritsch
Titel: Zitronen – Roman
ISBN: 978-3-518-77863-0
Verlag: Suhrkamp Verlag
Erschienen: 12.02.2024
Klappentext:
August Drach wächst in einem Haus am Dorfrand auf, das Hölle und Paradies zugleich ist. Der Vater, von sich und dem Leben enttäuscht, misshandelt seinen Sohn, Zärtlichkeit hat er nur für die Hunde übrig. Trost findet August bei seiner Mutter, die ihn liebevoll umsorgt.
Doch als der Vater die Familie verlässt, verwandelt sich die Zuwendung der Mutter: Sie mischt August heimlich Medikamente ins Essen, schwächt das Kind, macht es krank; von seiner Pflege verspricht sie sich Aufmerksamkeit und Bewunderung.
Erst Jahre später gelingt es August, sich aus den Fängen der Mutter zu befreien, ein unabhängiges Leben zu führen, erste Liebe zu erfahren. Doch wie lernt ein erwachsener Mensch, das Rätsel einer Kindheit zu lösen, in der Grausamkeit und Liebe untrennbar zusammengehören? Wie durchbricht er den Kreislauf von Lügen und Betrügen? Und was passiert, wenn sich dieser Mensch, Jahre später, an den Ursprung des Schmerzes zurück wagt?
Rezension von Anni Lemberger
Ein großartiger und berührender Roman.
Immer wieder wundert sich der kleine August Drach, wie es möglich ist, dass die kleinen Hände seines Vaters so grausam sein können. Der kleine Junge lernt bald, dass er schweigen muss, auch wenn er Dinge besser weiß als sein Vater. Aber nachdem er seinen Vater bei der Höhe eines Berges stolz korrigiert hat, weil er in Geografie vor einem Tag genau das richtige Maß gelernt hatte, prügelt ihn der Vater blutig. Also schweigt er.
Und als der Vater plötzlich verschwindet, ist es für das kleine Kind kein wirklicher Verlust.
Seine Mutter hingegen verwöhnt ihn – umso mehr, als der Vater verschwindet und er plötzlich krank wird. Er kann sich zwar nicht erklären, wieso er plötzlich immer schwächer wird, wo er doch nie krank war. Aber Hauptsache die Mutter ist immer an seiner Seite.
Und die Mutter genießt die Zuwendung der kleinen Dorfgemeinschaft, weil sie sich so aufopfernd um ihren kleinen Buben kümmert.
Auch als August erwachsen ist und schon längst in der Stadt lebt, hat er immer noch keine Erklärung für seine rätselhafte Erkrankung in der Kindheit, weil er genauso plötzlich wieder gesundet ist.
Er hat sich inzwischen verliebt aber trotzdem spürt er, dass es irgendein Geheimnis in seinem Leben gibt. Nach dem Ende seiner Beziehung zieht es ihn zurück in sein Elternhaus. Seine Mutter sitzt mittlerweile im Rollstuhl und August beobachtet, wie sie den kleinen Hund liebevoll auf ihrem Schoß füttert. Plötzlich wird von seiner Vergangenheit überrollt.
Sowohl Cover, als auch Überschrift dieses Buches – beides wirkt minimalistisch – macht neugierig auf den Inhalt. Die Einleitung, die die karge und abgelegene Familien- und Wohnsituation des Protagonisten als Kind beschreibt, klingt vielversprechend.
Im ersten Teil schreibt die Autorin sprachgewaltig sowohl über häusliche Gewalt, als auch über eine seltene psychiatrische Störung der Mutter, die ihren Selbstwert aus der Pflege ihres Kindes zieht. Nachdem ihr kleiner Sohn an einem Infekt erkrankt, findet die Mutter ihre Daseinsberechtigung durch die Pflege ihres Kindes. Sie macht danach alles, um diesen Pflegezustand aufrecht zu erhalten und so die Anerkennung der Dorfgemeinschaft dauerhaft zu erhalten. Als ehemalige Altenpflegerin besitzt sie nicht nur verschiedene Medikamente, sondern weiß sie auch so zu nutzen, um ihr Kind in einem hilflosen Zustand zu halten.
August ahnt nichts davon und ist einfach nur dankbar für die mütterliche Fürsorge und die, die es wissen, schweigen dazu, beziehungsweise greifen erst sehr spät ein, wie so oft auch im realen Leben.
Im zweiten Teil beschäftigt sich die Autorin mit dem erwachsenen August und beschreibt seine Probleme. Obwohl der junge Mann nicht weiß, was seine Mutter ihm angetan hat. Die väterliche Gewalt verdrängend, schafft er nicht wirklich ein erfolgreiches Dasein.
Nachdem ihn seine Kindheit einholt und Beziehung und Liebe deshalb abrupt enden, zieht es ihn nach Hause zurück. Er stellt sich seiner Kindheit erträgt aber die Wahrheit nicht.
Ein Buch, das berührt und aufrüttelt: Menschen, die über diesen kindlichen Missbrauch Kenntnis erlangen und trotzdem weiter schweigen. Ein Roman mit einer einzigartigen Sprachgewalt, die die Seele berührt. Und ein Schluss, der völlig unerwartet kommt und vieles offen lässt.
Ein großartiger, spannender, empfehlenswerter Roman und ein absoluter Lesegenuss!
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