Die Kunst- und Kultur-Szene hat nach den gescheiterten Regierungs-Verhandlungen zwischen Schwarz und Blau kurz durchgeatmet, das Schlimmste schien verhindert, der Kahlschlag in zeitgenössischen Einrichtungen abgewendet.

Von Leo Fellinger
Zu sehr hatte die blaue Handschrift zum Beispiel in der Steiermark schon seine Fratze gezeigt. Zum Teil unwidersprochen. Autoritäre Strömungen gewinnen an Einfluss, demokratische Werte geraten unter Druck. Die erstarkenden rechten Kräfte wollen die Gewaltenteilung schwächen, die Unabhängigkeit von Medien und Justiz einschränken und die Menschenrechte in den Straßengraben fegen. Die Gegenwart zeigt uns, dass es funktioniert, denn nie zuvor war es so einfach, Massen zu beeinflussen. Während klassische Medien (zumindest theoretisch) Fakten überprüfen und für ein gewisses Maß an Objektivität sorgen, sind soziale Netzwerke der perfekte Spielplatz für Populisten und Demagogen.
Nun kam es anders, in der neuen Regierung ist Kunst und Kultur Chefsache, sogar linke Chefsache. Dadurch entsteht in der Szene naturgemäß so etwas wie eine Beißhemmung. Lange haben wir alle darauf gewartet, ob und wie Förderungen ausbezahlt werden vom Bund, wer mehr oder weniger bekommt. Jetzt ist es amtlich. Es ist so etwas wie ein Beruhigungspaket. Einige große Investitionen (in Wien) sollen verschoben werden, die Förderung der mächtigen Theaterholding wird (vorläufig) noch einmal bis 2026 valorisiert. Doch irgendwoher müssen die Einsparungen ja kommen, siehe da, man hat die Filmförderung entdeckt. Und wie sieht es mit der freien Szene aus? Valorisierung? Mitnichten. Wenn man die derzeitigen Debatten in der Republik verfolgt, gewinnt man den Eindruck, dass sich die Politik ausschließlich mit finanziellen Problemen beschäftigt. Die müssen gelöst werden, die Krise überwunden, dann kann man sich wieder mit anderen Themen beschäftigen. Ist vielleicht etwas verkürzt dargestellt, aber – verzeihen sie mir – so kommt es nun mal ganz unten an. Bei uns.
Doch geht es wirklich nur um Geld? Je mehr in der öffentlichen politischen Diskussion über Geld geredet wird, desto mehr Menschen machen sich Gedanken über Werte. Und zwar nicht über Geld-Werte, sondern Werte, die das tägliche Miteinander besser und effektiver regeln können. In der Diskussion um die Verflechtungen von Politik und Finanzwirtschaft wird der schleichende Wertverlust deutlich vorgeführt. Durch Misswirtschaft mit öffentlichen Geldern wird der Ruf nach Moral, Anstand und Ethik lauter, die Gesellschaft sehnt sich nach einem erstarkenden, intakten Wertekonstrukt. Und das ist nur die gute Nachricht. Die schlechte: Ein großer Teil der Bevölkerung wünscht sich als Reaktion auf die herrschenden Verhältnisse eine starke, nicht an demokratische Regeln gebundene Persönlichkeit an der Spitze des Staates – und dieser Anteil steigt in rasendem Tempo.
Gegenübergestellt die Realität: Politiker und Politikerinnen, die mehr und mehr von Ratlosigkeit denn von Visionen geprägt sind. Die wachsenden Herausforderungen setzen die Politik zunehmend unter Druck, das Dringliche des Moments wird zum Feind wichtiger langfristiger Aufgaben. Hinzu kommt die Verunsicherung des politischen Zirkels durch wachsende Unvorhersagbarkeit einer globalisierten und vernetzten Welt und einer ausufernden Wirtschaftsentwicklung, verursacht durch sinnlose Kriege und despotischen Politikern, die anscheinend in der Pubertät stecken geblieben sind.
Was hat das alles aber mit Kultur zu tun? Viel, denn eine Diskussion über die Budgetkürzung von Kunst und Kultur würde nicht stattfinden, wären in der Politik und damit auch in großen Teilen der Bevölkerung glaubwürdige Werte hinterlegt. Werte, die den Beitrag der Kunst zu Entwicklung und Zusammenleben der Gesellschaft widerspiegeln. Werte, die den Menschen in den Mittelpunkt politischer und wirtschaftlicher Zielsetzung stellen – nicht nur als WählerInnen und KonsumentInnen. Denn Kultur beeinflusst das Leben der Menschen. Im besten Sinne. Und Bildung schafft die Basis dazu. Wenn wir also von Kultur sprechen, sprechen wir auch von Bildung. Kultur und Bildung sind zwei nicht voneinander trennbare Quellen geistigen Wachstums, eine schöpft aus der anderen.
Kunst und Kultur sowie die Teilnahme am kulturellen Leben nähren und entwickeln bei den Menschen die handlungsleitenden Vorstellungen vom guten und gelingenden Leben. Eine Gesellschaft, die die Rolle von Kunst und Kultur marginalisiert, stellt sich selbst ein Armutszeugnis aus. Dort, wo Sinn und Glück schwinden, entsteht Entmenschlichung, Extremismus, Gefühlskälte, Autismus, Depression, Aggression. In solchen Zeiten kann Kunst zum Akt des Widerstands werden, weil sie Dinge ausspricht, die nicht gesagt werden dürfen. Bilder bleiben im Kopf, Worte hallen nach, Melodien verbinden Menschen über Grenzen hinweg. Wo Politik oft abstrakt bleibt, schafft Kunst etwas Unmittelbares, Emotionales.
Wenn man nun jenen, die in unserer Gesellschaft als Künstler:innen oder Kunstvermittler:innen arbeiten, erklärt, sie sollen doch geduldig sein, jeder muss doch seinen Beitrag leisten, während man gleichzeitig die großen Profiteure der Republik verschont, ist das kein Missverständnis, sondern Zynismus. Ein Zynismus, der darin gipfelt, dass Staat und Wirtschaft verzweifelt versuchen, ein Wachstum, an das viele schon nicht mehr glauben, mit Anfeuerungsrufen zu mehr Konsum zu retten. Dass Konsum aber nur eine Teilbefriedigung oder Ersatzbefriedigung sein kann, hat sich herumgesprochen. Haben die gewachsenen Möglichkeiten zu konsumieren glücklicher gemacht oder nachhaltigen Sinn gespendet? Ich glaube nicht. Glücklich machen uns aber Beziehungen, Kommunikation, sinnstiftende Beschäftigungen, Selbstbestimmtheit, unsere eigene Kreativität oder das Teilhaben am kreativen Output anderer Menschen. Damit dies in unserer Gesellschaft erlebbar bleibt, muss ein Mindestmaß an Organisation und Geldmittel bereitgestellt werden. Wo dies wegfällt, weil es angeblich Wichtigeres gibt, entsteht eine Wüste, die nicht so einfach bei Bedarf wieder zu revitalisieren ist.
Geld befreit uns von äußerlichen Zwängen und das ist angenehm und wichtig. Aber die Freiheit von etwas reicht nicht aus. Wir müssen uns auch eine Antwort auf die Frage geben können, wofür wir frei sind. Für sich selbst frei zu werden und sich damit selbst zu bejahen führt uns zum Glück. Wir haben begonnen, uns wieder daran zu erinnern. Jede beglückende Vorstellung in einem Theater, einem Konzert oder einer Ausstellung erinnert uns daran. Fragen Sie die Menschen, die das hervorbringen, fragen Sie, was sie antreibt. Dass sie von dem, was sie hervorbringen, leben wollen und sollen, ist selbstverständlich und legitim, doch das steht nicht am Beginn ihres kreativen Prozesses. Dort steht der Wunsch, die Geschichten des Lebens neu zu schreiben, neu zu interpretieren. Und das mit allen Mitteln, die ihnen zur Verfügung stehen: mit ihrer Fantasie. Ist das die Kultur, die wir in der Gesellschaft wahrnehmen? Ich glaube nicht. Wir leben zurzeit eine ganz andere Kultur, die Kultur eines überbordenden Materialismus.
Die schlechte Nachricht an dieser Stelle: von der gelebten Kultur leiten sich auch die Werte einer Gesellschaft ab. Sie sind die maßgeblichen Elemente der Kultur, sie definieren Sinn und Bedeutung von Dingen, Ideen, oder Beziehungen innerhalb des jeweiligen sozialen Gefüges. In diesem Sinne sind Kultur und Wert auch ein moralisches Zwillingspaar. Wird die Kultur nicht über formulierte Werte bewusst beeinflusst, bildet sich auch eine Kultur heraus – nur vielleicht nicht die, die uns hilft, unsere Gesellschaft auf der inhaltlichen, moralischen und ideologischen Seite weiterzuentwickeln. Wenn die materiellen Werte stärker sind, schlägt das Pendel in der Volksmeinung auch auf Materialismus um. Bitte nicht falsch verstehen: es geht weder um eine unternehmerfeindliche noch um eine antikapitalistische Haltung. Es geht um die Balance zwischen den Werten unserer Gesellschaft. Um das Gleichgewicht. Und das ist empfindlich gestört.
Förderungen zu gewähren, ist kein Geschenk. Neben der Schaffung von Werten wie bereits erwähnt gibt es unzählige Studien, die belegen, dass jeder in Kunst und Kultur investierte Euro vielfach zurückkommt. In Form von Umwegrentabilität, die kann schon mal Faktor 3 oder 4 haben, das heißt 1 Euro erzeugt 4 Euro Rendite. Von so einem Gewinn könnte man in Unternehmenskreisen träumen, aber: es ist halt nicht gleich sichtbar. Bei genauerer Betrachtung erkennt jeder vernünftige Ökonom, dass die positiven Effekte über die unmittelbaren Kosten und Einnahmen hinausgehen und die Region oder die Stadt oder das Bundesland oder die Republik eine langfristige Stärkung erfährt. Darum muss die Politik gerade in diese Bereiche, in Kunst, in Kultur investieren – und wir alle müssen uns gemeinsam einer Werte-Diskussion stellen – abseits von jeglicher Budget-Diskussion. Geld ist heute der bedeutsamste Leitstern unserer Gesellschaft, aber das ist ein Fehler. Denn es geht um Werte. Werte wollen genährt werden, sie existieren nicht aus sich selbst heraus. Kunst und Kultur daher mit demselben Maßstab zu messen wie alles andere, den Rotstift zu verwenden, der in einer überbürokratisierten Republik nicht zur Anwendung kommt, ist schlicht falsch.

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