Die Bouffon-Truppe des Herminentheaters erhielt 2022 für „Ein bescheidener Vorschlag“ den Nestroypreis für die beste Off-Produktion. Im Mittelalter bezeichnete man Menschen mit körperlichen oder geistigen Beeinträchtigungen als Bouffons und stellte sie auf Jahrmärkten aus.

Nun touren die schrägen Vögel aus Wien mit der Fortsetzung ihres Erfolgsprogramms durch Österreich. Sie verwöhnen das Publikum mit skurriler Unterhaltung bei gleichzeitigem Bildungsanspruch. Viel Applaus am 22. Jänner 2025 im Kleinen Theater für ein gut besuchtes, ziemlich schräges Gastspiel, das beim Publikum für beste Stimmung sorgte.
Am Eingang bekommt jeder Besucher ein liebevoll verpacktes kleines Nüsschen. Während des Stücks kommt aber die Frage auf, ob es wirklich schlau war, das zu verzehren. Auf der Bühne prangt ein Haus aus weißen Fetzen. Die Bewohner, schmutzige, unförmige Gestalten im kreativen Lumpenlook, dürften wohl noch nie einen Zahnarzt gesehen haben. Doch sie sind bester Laune und freuen sich, dass wir „schon wieder“ da sind. Da vielleicht doch nicht alle ihr erstes Stück gesehen haben, bekommen wir es im Schnelldurchlauf serviert. Es war wohl eine Mischung aus Shakespeare-Stücken und den Schwierigkeiten, die Asylverfahren nach sich ziehen.



Diesmal steht russische Literatur auf dem Kulturprogramm, gemixt mit Problemen, die in einem Pflegeheim an der Tagesordnung sind. „Krieg und Frieden“ von Leo Tolstoi und „Onkel Wanja“ von Anton Tschechow bringen uns ins zaristische Russland. Da sind natürlich schnell Parallelen zur heutigen Situation auszumachen, denn schon damals wollte sich Russland als Retter Europas aufspielen. Eine schwächliche ältere Dame wird von ihren Kindern in ein Pflegeheim abgeschoben.
Der Sohn hat keine Zeit, die Tochter keinen Platz, darum ab mit der Mutter in die „Casa Sonnenschein“. Natürlich ist die heillos überforderte Pflegerin aus dem Osten. Dann kündigt die Frau Landeshauptmann ihren Besuch an. Es dürfte sich wohl um ein niederösterreichisches Heim handeln. Sie will im Wahljahr ein paar Fotos mit den alten Leuten machen. Das kommt ja immer gut an. Dem Herrn Direktor bietet sich dabei die Gelegenheit, um mehr Geld zu betteln und auf seine triste Lage hinweisen. „Wir sind einfach am Limit.“ Eigentlich behauptet der Neuzugang ja ständig: „Mir geht’s gut!“ Warum aber bittet sie dann um Sterbehilfe? Vielleicht ist es ja wirklich „wurst, ob’st stirbst“.
Ambra Berger strahlt als zwar gebrechliches, doch recht munteres Mütterchen stets gute Laune aus. Sie thront auf einem Einkaufswägelchen. Das ist allemal besser als ein Rollstuhl. Peter Bocek ist schwer beschäftigt. Er verkörpert ihren Sohn, den anzüglichen Hausarzt – eine Mischung aus „Bergdoktor“ und „Fit mit Philipp“ – und mit Lippenstift die Frau Landeshauptmann. Ida Golda schlüpft in die Rolle der Tochter und verlangt als Bürgermeister ständig einen Spritzwein. Anja Štruc hat es als Pflegerin wirklich nicht leicht, denn Frau Huber, obwohl nur eine große Plastikpuppe, verlangt ständig nach ihr. Kristóf Szimán leitet nicht nur die „Casa Sonnenschein“, er macht auch am Kontrabass eine gute Figur.




Die Kostüme (Eva-Maria Mayer) sind echte Hingucker. Die Fetzen können aber die körperlichen Mängel, riesige Beulen, kaum verhüllen. Auch die musikalischen Einlagen widmen sich den Themen Pflege und Kultur und sorgen für jede Menge Spaß. Das Herminentheater bietet 65 Minuten bitterböse österreichische Satire. Innovatives Theater vom Feinsten.
Der 2018 von Hannelore Schmid und Josef Schmid gegründete Verein Herminentheater bringt zeitgenössisches Theater auf die Bühne mit Schwerpunkt auf neuen Theaterformen und interaktiven und generationenübergreifenden Produktionen. Der Name Herminentheater ist eine Hommage an die Großmütter von Thomas Toppler und Hannelore Schmid – sie trugen beide den Namen Hermine.
„Wurst, Obst, Stirbst“ – von Hannelore Schmid und Thomas Toppler. Eine Produktion von Herminentheater in Kooperation mit dem TAG. Regie und Konzept: Thomas Toppler. Musik: Ensemble, Thomas Toppler. Bühne: Michael Strasser. Kostüme: Eva-Maria Mayer. Text: Ensemble, Hannelore Schmid, Thomas Toppler. Licht: Katja Thürriegl, Goran Peranović. Regieanssistenz: Elisabeth Kneissl. Dramaturgie: Ensemble, Thomas Toppler. In Kooperation mit dem TAG. Mit: Ambra Berger, Peter Bocek, Ida Golda, Anja Štruc, Kristóf Szimán. Fotos: Kleines Theater Victoria Nazarova

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