Ja, schon in der Überschrift ist das erste Beispiel der Kriegsrhetorik, die im Verlauf der Corona-Krise immer mehr Platz eingenommen hat in der Kommunikation – der Medien, der Politik und letztlich auch bei uns allen. Diese Radikalisierung der Sprache macht natürlich etwas mit uns, Corona als Feind zu sehen und die Bekämpfung als Krieg, liegt nahe, ist aber grundlegend falsch. Der Krieg braucht Feinde, die Lösung der Corona-Krise aber nicht. Der Krieg als Mittel verfolgt das Ziel, dem Gegner den eigenen Willen aufzuzwingen, um schließlich einen übergeordneten politischen Zweck zu erreichen.
Von Leo Fellinger
Doch wer der Feind ist, wer der Freund, das hat sich in den letzten Monaten stark gewandelt. Man hat den Eindruck, Covid sei nur mehr ein Zaungast einer Front, die sich zwischen Impfbefürwortern und -gegnern aufgetan hat. Dabei sind die Motive beider nicht unähnlich, sieht man vom Mythos der oft zitierten Solidarität ab, der ohnehin nur von der Politik ins Leben gerufen wurde. Die meisten Menschen – auch ich – haben sich impfen lassen, weil sie Angst hatten zu erkranken. Oder weil sie sich ihre Freiheit mit dem Stich sicher wollten. Das ist nicht verwerflich. Das die Angst aber nur für eine Seite in Anspruch genommen werden kann, das ist es sehr wohl. Das Motiv, sich aus Angst vor Nebenwirkungen dem Stich zu entziehen, ist unlauter im mehrheitlichen Denken.
Wie ungleich der Kampf mit den selben Motiven ist, zeigt ein Beispiel: Während in manchen Familien aus der Gruppe der Impfbefürworter selbstverständlich die eigenen Kinder geimpft werden, obwohl das Risiko einer schweren Erkrankung äusserst gering ist, wird das Argument von Impfskeptikern als lächerlich abgetan, es gäbe zwar nur eine geringe Anzahl an schweren Nebenwirkungen der Impfung, aber die Angst, bei dieser kleinen Gruppe dabei zu sein, ist dennoch da. Motiv auf beiden Seiten: Angst. Wäre doch eine gute Gelegenheit, füreinander Verständnis aufzubringen.
Aber nein, die Meinungen haben sich auf beiden Seiten verfestigt. Die einen berufen sich auf die Wissenschaft, obwohl sie ihr Wissen auch nur aus dem beziehen, was Politik freigibt (z.B. Nebenwirkungen) und Medien wiedergeben, die anderen sehen sich unter Druck und reagieren deswegen auch oft irrational. Ich spreche dabei ausdrücklich nicht von Verschwörungstheoretikern und politisch scharf rechts Motivierten, es geht um jene Menschen, die aus lauteren Motiven und unter Abwägung aller Argumente keine Impfung in Anspruch nehmen wollen. Es scheint, dass es nur mehr ums “Rechthaben” geht.
Der deutsche Philosoph Richard David Precht hat vor einem Jahr in einem Interview folgendes dazu gesagt: “Viele wollen immer recht haben. Da frage ich mich: Warum ist das so wichtig? Ein Mensch mit hinreichendem Selbstbewusstsein ist doch nicht darauf angewiesen, mit allem, was er sagt, recht zu haben. Der kann auch mal sagen: Ich habe das falsch eingeschätzt. So wie ich das jetzt in Hinblick auf Corona auch mache. Aber es gibt viele Menschen, die sich nur deshalb für Politik interessieren, weil das Motiv dahinter im Rechthabenwollen besteht. Solche Menschen sind für Argumente nicht zugänglich.”
Zurück zur Kriegsrhetorik: Die Fronten haben sich verschoben, der Feind ist nicht mehr Covid, sondern der Nachbar und die Nachbarin, die sich nicht impfen lassen. Das ist das Hauptmotiv, das ich subjektiv erfahte und feststelle. dafür ist in hohem Maße die Politik verantwortlich, das wurde geschürt. Aufbauend auf dem Wissen, dass das Gefühl, einen Feind zu haben, die Situation fassbarer erscheinen lässt. Ein folgenschwerer Irrtum, der dringend richtiggestellt werden muss. Denn das Gefühl, in der Vernunft und im Verständnis füreinander einen Verbündeten und Freund zu haben, ist und bleibt das stärkere Mittel in diesem “Kampf“.
Siehe auch: Jürgen Wertheimer: Krieg der Wörter
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Herzlichen Dank für diesen klugen und versöhnlichen Kommentar!