Deutschland 1932 – ein Berliner Café. Eine junge Frau in einem weißen
Pelzmantel steht an der Tür. In der Hand hat sie einen abgewetzten Koffer,
die Wollhandschuhe sind alt und abgetragen, die Strümpfe voller Löcher.
Aus der Manteltasche lugt eine Whiskeyflasche hervor. Der Kellner
versucht sie abzuweisen, aber sie verschafft sich trotzdem Eintritt in
das Café. Setzt sich gehetzt an einen Tisch, bestellt einen Kaffee. Auf
die Frage des Kellners, ob sie denn überhaupt Geld habe, wirft sie dem
Herrn, der an diesem Tisch sitzt einen unterwürfigen, flehentlichen Blick
zu und sagt dann ganz leise: „Der Herr zahlt“. Gleichgültig dreht sich der
Kellner um, bringt ihr eine Tasse Kaffe. Mit zitternden Händen trinkt sie
den Kaffee – endlich etwas Warmes.
Und dann erzählt Doris ihre Geschichte. Beginnt bei ihrer Liebe zu
Hubert, ihrem ersten Geliebten, der sie verließ, um ein „ehrbares“,
unberührtes Mädchen zu heiraten. Erzählt von ihrer Arbeit im Büro, in dem
sie einen Brief nach dem anderen abtippte – immer auf Kriegsfuß mit den
Kommas.
Schildert ihren Ausflug in die Theaterwelt, wo sie als Statistin
arbeitete und die kleinlichen Machtkämpfe der Mädchen für ihr eigenes
Fortkommen nutzte, und aus der sie fliehen musste, als sie sich einen
Pelzmantel „ausborgte“. Wie sie dann nach Berlin kam, immer in der Furcht,
die Polizei könnte sie finden.
Sie erzählt von ihrer Stelle als Kindermädchen bei einer reichen
Familie. Sie schwärmt von ihrem aufregenden Leben, das sie als Geliebte
eines Mannes führte, der sich in der schillernden Gesellschaft der Reichen
und Schönen Berlins bewegte, sich jedoch als Edel-Ganove entpuppte.
Beschreibt die Armseligkeit des Lebens bei einer Freundin, die in einem
Arbeitslosen-Viertel von Berlin wohnt. Und auf all diesen Stationen ihres
Lebens Männer, die sie ausnützen oder von ihr ausgenützt werden.
Verena Saake überzeugt in der Rolle des kleinen, naiven
Provinzluders Doris, die sich zwar ihrer Reize sehr wohl bewußt ist und
sie auch gezielt einsetzt, aber gleichzeitig dem Leben mit unglaublicher
Naivität gegenüber tritt. Immer auf der Suche nach dem Glück und einem
besseren Leben. Verena Saake zeigt mit welcher Berechnung Doris Männern
begegnet, vermittelt aber auch die Zerbrechlichkeit und die Einsamkeit
der jungen Frau.
Während sie ihre Geschichte erzählt, zeichnet sie für den Zuschauer
ein Bild der Gesellschaft am Ende der Zwanziger Jahre des letzten
Jahrhunderts: die Doppelmoral der „ehrbaren“ Bürger, das lockere,
pulsierende Leben in Berlin, die Anfänge des Nationalsozialismus, die
Tristesse der Armen und Arbeitslosen.
In der Inszenierung von Andreas Döring ist der Zuschauer nicht nur
Publikum, er ist ein Teil des Stückes. Das Säulenfoyer ist gleichzeitig
Bühne und Café, damit fällt die übliche Distanz zwischen Bühne und
Zuschauerraum weg. So wie Doris, sitzt man an einem Tisch, trinkt seinen
Kaffee und hört sich ihre Geschichte an.
Eine Geschichte, die zwischen Tragödie und Komödie hin und her
pendelt und somit nicht nur berührt, sondern auch sehr oft erheitert.
Daniel Thierjung in der Rolle des Kellners ist der schweigende Gegenpol zu
Doris, und sorgt in leicht arroganter und überheblicher Manier für
amüsante Unterbrechungen. Im Hintergrund erklingen die Gassenhauer von
Johannes Heesters, Marika Röck, Zarah Leander und Heinz Rühmann und machen
das damalige Lebensgefühl noch spürbarer.
Eine gelungene und sehenswerte Aufführung, die weniger den
Charakter eines Theaterabends hat, als vielmehr einem Nachmittag in einem
Café gleicht, und dadurch besonders reizvoll ist.
12.11.2003
Michaela Essler Dorfzeitung
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