Eine wundersame Nacht
von Sławomir Mrożek bei thater bodi end sole
Wir sind,
aber wir existieren nicht
Besuche bei theater bodi end sole in Hallein sind immer wieder
vergnüglich, auch da man nie weiß, woran man sein wird, wenn man das
winzige Theater im Innenhof der ehemaligen Zigarrenfabrik in der
Halleiner Davisstraße betritt.
Diesmal liegt die Szenerie (Entwurf Peter Rieder, Ausführung Anna
Russegger) beim Einlass offen da und wartet: Ein Hotelzimmer mit zwei
Einzelbetten, weiß lackiert, ein wenig schäbig. Stehlampe, Wandlampe mit
Botticelli-Venus, narbenverglastes Fenster, Wandspiegel, weiß lackierte
Türen, abgenutzt, Musik aus der Jukebox der Gaststätte im Erdgeschoß.
Etwas später werden Züge den Schlaf der Hotelgäste durchschneiden.
Zwei Reisende – Handelsreisende? – der Herr Kollege
und der werte Herr Kollege, nie erfährt der Zuschauer, was sie denn
vertreten untertags, schließen die Tür auf. Nach Ihnen. Aber ich bitte
Sie, nach Ihnen. Schon der Auftritt der beiden ungleichen Gefährten –
dargestellt durch Hermann Krüttner und Martin Klocke – ist ein Genuss:
präzise in ihren Bewegungen gezeichnet und charakterlich kenntlich
gemacht erkunden sie ihr Refugium für eine Nacht. Da stimmen Blick,
Schritt, Haltung, Bücken, Strecken, Zuwenden, Abwenden, Kontakt und
Vermeidung.
Sie werden das Zimmer für diese Nacht teilen. Nach
und nach versteht man, dass sie wohl schon länger zusammen reisen, dass
da Machtkampf versteckt geführt wird, bekommt Einblick in Rituale der
gegenseitigen Demütigung. Zuvorkommende Höflichkeit verdeckt Bosheit und
Sadismus, und diese Decke ist dünn.
Schön der Einbruch des Irrealen in die in ihrer
platten Alltäglichkeit so handfest erscheinende Welt: Andrea Krüttner
als fremde Frau – sichtbar zuerst nur im Spiegel – gibt eine
Erscheinung, die trotz aller sinnlichen Präsenz schwebt, changierend
zwischen Entrücktheit und höchst konkreter Gegenwärtigkeit, ihre
Anziehungskraft auf die Männer un-heimlich im eigentlichen Wortsinne.
Sławomil Mrożek erzählt die Geschichte zweier
klischeehafter Figuren, konträrer Typen, die Erwartbares tun, bis das
Unerwartete eintritt: dass der biedere Familienvater, der sein
Vaterunserchen vorm Schlafengehen abspult, den geilen Bock nur
übertüncht hat, darf von Beginn an vermutet werden. Dass Mrożeks
Sympathien dessen Gegenspieler, der seinen Hedonismus fast unschuldig
weil offen lebt, gelten, ist nicht zu übersehen. Das ist die Oberfläche.
Darunter liegen Fragen nach der Realität, nach der Fassbarkeit von
Wirklichkeit. Die Selbstgewissheit der Figuren ist eine dünne Eisschicht
über einem Abgrund, der ins Nichts stürzen ließe, würde sie endgültig
brechen. Um sich der eigenen Existenz zu versichern, muss der jeweils
andere vernichtet werden: Ihr Ausweis gilt hier nicht, Herr Kollege! Sie
träumen mir zusammen mit Ihrem Ausweis!
Die Spirale aus gegenseitiger Instrumentalisierung
dreht sich immer schneller, im Zusammenbrechen aller Gewissheiten wird
das gemeinsame Ausgesetztsein deutlich: Wir sind, aber wir existieren
nicht. Simple Situationskomik und peinigende Fragen nach Sein und Sinn
gehen hier eine atemberaubende Verbindung ein. Wie bei einem Tennismatch
ist der Zuseher zum rasend schnellen Wechsel der Blickrichtung
gezwungen, sieht sich aus dem Privaten ins Politische katapultiert,
rätselt über die Figuren, lacht über sie. Die „wundersame Nacht“
entstand 1963, als Mrożek noch im kommunistischen Polen schrieb. Die
Zwei- und Mehrdeutigkeit, in der einzig es möglich war, herrschende Zu-
und Umstände öffentlich zu kritisieren, ist immer noch spürbar.
„Schielende Literatur“, in der der Zuseher mit einem Auge das sichtbar
Dargebotene aufnimmt, mit dem anderen – so er will – das Dahinter
fixiert.
Die besonderen Stärken dieses fast zu kurzen Abends
liegen wieder einmal in den (bewegten) Bildern, höchst bewusst von
Regisseurin Christa Hassfurther entwickelten Kompositionen aus Körpern,
Raum, Gestik. Das ist so spannend, dass es fast unfair scheint, sich
dieselbe Präzision und Beweglichkeit auch noch in der Artikulation und
Sprachmelodie zu ersehnen. Dennoch, der kleine Wunsch sei angemerkt.
Nach dem Ende des verdienten Applauses höre ich eine
Besucherin hinter mir: Vielleicht sind wir ja alle hier nur geträumt?
Christina Klaffinger,
Dorfzeitung, 6. 11. 2007
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