Dorfzeitung 145x80
Startseite
Feuilleton
Zeitgeschehen
Lebensräume

Galerie
Musik
 Theater
Literatur

Weballianzen
Dorfplatz
Archiv
Impressum
Theaterfoto

Eine wundersame Nacht
von Sławomir Mrożek bei thater bodi end sole

Wir sind,
aber wir existieren nicht

Besuche bei theater bodi end sole in Hallein sind immer wieder vergnüglich, auch da man nie weiß, woran man sein wird, wenn man das winzige Theater im Innenhof der ehemaligen Zigarrenfabrik in der Halleiner Davisstraße betritt.

Diesmal liegt die Szenerie (Entwurf Peter Rieder, Ausführung Anna Russegger) beim Einlass offen da und wartet: Ein Hotelzimmer mit zwei Einzelbetten, weiß lackiert, ein wenig schäbig. Stehlampe, Wandlampe mit Botticelli-Venus, narbenverglastes Fenster, Wandspiegel, weiß lackierte Türen, abgenutzt, Musik aus der Jukebox der Gaststätte im Erdgeschoß. Etwas später werden Züge den Schlaf der Hotelgäste durchschneiden.

Zwei Reisende – Handelsreisende? – der Herr Kollege und der werte Herr Kollege, nie erfährt der Zuschauer, was sie denn vertreten untertags, schließen die Tür auf. Nach Ihnen. Aber ich bitte Sie, nach Ihnen. Schon der Auftritt der beiden ungleichen Gefährten – dargestellt durch Hermann Krüttner und Martin Klocke – ist ein Genuss: präzise in ihren Bewegungen gezeichnet und charakterlich kenntlich gemacht erkunden sie ihr Refugium für eine Nacht. Da stimmen Blick, Schritt, Haltung, Bücken, Strecken, Zuwenden, Abwenden, Kontakt und Vermeidung.

Sie werden das Zimmer für diese Nacht teilen. Nach und nach versteht man, dass sie wohl schon länger zusammen reisen, dass da Machtkampf versteckt geführt wird, bekommt Einblick in Rituale der gegenseitigen Demütigung. Zuvorkommende Höflichkeit verdeckt Bosheit und Sadismus, und diese Decke ist dünn.

Schön der Einbruch des Irrealen in die in ihrer platten Alltäglichkeit so handfest erscheinende Welt: Andrea Krüttner als fremde Frau – sichtbar zuerst nur im Spiegel – gibt eine Erscheinung, die trotz aller sinnlichen Präsenz schwebt, changierend zwischen Entrücktheit und höchst konkreter Gegenwärtigkeit, ihre Anziehungskraft auf die Männer un-heimlich im eigentlichen Wortsinne.

Sławomil Mrożek erzählt die Geschichte zweier klischeehafter Figuren, konträrer Typen, die Erwartbares tun, bis das Unerwartete eintritt: dass der biedere Familienvater, der sein Vaterunserchen vorm Schlafengehen abspult, den geilen Bock nur übertüncht hat, darf von Beginn an vermutet werden. Dass Mrożeks Sympathien dessen Gegenspieler, der seinen Hedonismus fast unschuldig weil offen lebt, gelten, ist nicht zu übersehen. Das ist die Oberfläche. Darunter liegen Fragen nach der Realität, nach der Fassbarkeit von Wirklichkeit. Die Selbstgewissheit der Figuren ist eine dünne Eisschicht über einem Abgrund, der ins Nichts stürzen ließe, würde sie endgültig brechen. Um sich der eigenen Existenz zu versichern, muss der jeweils andere vernichtet werden: Ihr Ausweis gilt hier nicht, Herr Kollege! Sie träumen mir zusammen mit Ihrem Ausweis!

Die Spirale aus gegenseitiger Instrumentalisierung dreht sich immer schneller, im Zusammenbrechen aller Gewissheiten wird das gemeinsame Ausgesetztsein deutlich: Wir sind, aber wir existieren nicht. Simple Situationskomik und peinigende Fragen nach Sein und Sinn gehen hier eine atemberaubende Verbindung ein. Wie bei einem Tennismatch ist der Zuseher zum rasend schnellen Wechsel der Blickrichtung gezwungen, sieht sich aus dem Privaten ins Politische katapultiert, rätselt über die Figuren, lacht über sie. Die „wundersame Nacht“ entstand 1963, als Mrożek noch im kommunistischen Polen schrieb. Die Zwei- und Mehrdeutigkeit, in der einzig es möglich war, herrschende Zu- und Umstände öffentlich zu kritisieren, ist immer noch spürbar. „Schielende Literatur“, in der der Zuseher mit einem Auge das sichtbar Dargebotene aufnimmt, mit dem anderen – so er will – das Dahinter fixiert.

Die besonderen Stärken dieses fast zu kurzen Abends liegen wieder einmal in den (bewegten) Bildern, höchst bewusst von Regisseurin Christa Hassfurther entwickelten Kompositionen aus Körpern, Raum, Gestik. Das ist so spannend, dass es fast unfair scheint, sich dieselbe Präzision und Beweglichkeit auch noch in der Artikulation und Sprachmelodie zu ersehnen. Dennoch, der kleine Wunsch sei angemerkt.

Nach dem Ende des verdienten Applauses höre ich eine Besucherin hinter mir: Vielleicht sind wir ja alle hier nur geträumt?

 

Christina Klaffinger,  Dorfzeitung, 6. 11. 2007



 

Das Urheberrecht für alle Texte, Bilder und Fotos liegt bei den AutorInnen.
Die Verwendung des, auf dieser Seite veröffentlichte Bild- und Textmaterials,
ist ohne ausdrückliche Genehmigung durch die AutorInnen untersagt.

Eine wundersame Nacht
von Sławomir Mrożek bei thater bodi end sole in Hallein:

Wir sind, aber wir existieren nicht


weitere Theaterkritiken
finden Sie im Archiv




 

 

 

 



Theaterfoto

Theaterfoto

Theaterfoto

Theaterfoto

Fotos: Probenfotos theater bodi end sole

 

Weitere Aufführungen:
Fr 07.12. Sa 08.12. 2007
Do 13.12. Fr 14.12. 2007
Do 10.01. Fr 11.01. Sa 12.01. 2008 Fr 18.01. Sa 19.01.
So 20.01. 2008  
Jeweils 19.30 Uhr  
Informationen und Kartenreservierung:
www.bodiendsole.at

 

 

 

 

 

 

 

 

Über den Beitrag am Dorfplatz diskutieren