Chiharu Shiota: Wo sind wir jetzt?

Chiharu Shiota Ebensee

KZ-Gedenkstollen Ebensee

Kurz vor Ebensee, von Bad Ischl kommend, biegt man in Richtung der Gedenkstätte ab, dort, im Gedenkstollen ist auch das Werk von Chiharu Shiota zu finden. Die Stimmung an diesem historischen Ort ist oft etwas melancholisch, besonders an regnerischen, wolkenverhangenen Tagen.

Karl Traintinger

Von Karl Traintinger

Während der Fahrt durch die Siedlung passieren Sie das ehemalige Eingangstor des Konzentrationslagers. Nach einigen verschlungenen Wegen ist der KZ-Friedhof erreicht. Ins Auge fällt sofort die lange Glaswand mit den eingravierten Namen der Oper.

Von hier geht es zu Fuß durch die Häuserzeilen auf einen Waldweg, der zum Gedenkstollen führt. Bereits vor dem Eingang befinden sich zahlreiche Schautafeln, die über die Geschichte des KZ informieren. Beim Betreten des Stollens wird die Atmosphäre feucht und kühl, mit Wasserpfützen am Boden und Tropfen, die von der Decke fallen.

Im Inneren erwartet Sie die kraftvolle, leuchtend rote Installation „Wo sind wir jetzt“ der japanischen Künstlerin Chiharu Shiota. Unzählige rote Fäden hängen von der Decke und füllen fast den gesamten Stollen. In diesem Netz schweben übergroße Kleider, die in der düsteren Umgebung starke Emotionen hervorrufen. Sie erinnern an die Menschen, die hier unter menschenverachtenden Verhältnissen arbeiten mussten und an den Größenwahn der dafür Verantwortlichen. Die Vergangenheit scheint weit weg und doch ganz nah.

In meiner Kunst befasse ich mit der menschlichen Existenz. Ich verwende Alltagsgegenstände wie Schlüssel, Koffer und Kleidungsstücke, die von Menschen benutzt wurden und möchte die Erinnerung der Existenz ihrer Besitzer zum Ausdruck bringen.

Für die Installation bilden die Kleider die Form eines Körpers ab und füllen den Raum mit einer nicht greifbaren Anwesenheit. Ich arbeite schon lang mit dem Konzept der „Anwesenheit in Abwesenheit“ und finde es interessant welche Assoziation die Leere bei den Besuchern hervorruft. Für mich ist unsere Kleidung wie eine zweite Haut. Unsere dritte Haut sind die Gebäude, die uns vor der Welt abschirmen. Unsere Kleidung hat mit Schutz, aber auch Normen zu tun. Unser Inneres beinhaltet auch Eigenschaften, die wir uns nicht ausgesucht haben. Familie, Religion, Kultur, all das sind die Grenzen, innerhalb derer wir uns bewegen oder entscheiden sie zu durchbrechen. In der Installation sind die Kleider zwischen roten Seilen gefangen, die wie ein Nebel die Figuren verschleiern.

Je länger ich im Konzentrationslager Ebensee stehe und darüber erfahre, desto mehr drängt sich mir die Frage auf worum es bei der menschlichen Existenz überhaupt geht. Was ist das für eine Welt, in der wir leben?

Chiharu Shiota

Chiharu Shiota wurde 1972 in Osaka geboren und lebt derzeit in Berlin. Ihre künstlerische Inspiration entspringt persönlichen Erfahrungen und Emotionen, die sie zu universellen Themen wie Leben, Tod und Beziehungen erweitert. Shiota hat das Konzept von Erinnerung und Bewusstsein neu definiert, indem sie gewöhnliche Gegenstände wie Schuhe, Schlüssel, Betten, Stühle und Kleider in riesige Fadenstrukturen einbettet. In ihren Installationen erforscht sie das Gefühl einer „Präsenz in der Abwesenheit” und bringt immaterielle Emotionen auch in ihren Skulpturen, Zeichnungen, Performance-Videos, Fotografien und Leinwänden zum Ausdruck.

Ihre Arbeiten wurden weltweit ausgestellt, darunter in der Queensland Art Gallery of Modern Art (2022), dem ZKM | Zentrum für Kunst und Medien (2021), dem Museum of New Zealand Te Papa Tongarewa (2020), dem Mori Art Museum (2019) und dem Gropius Bau (2019). Sie nahm auch an internationalen Ausstellungen wie dem Oku-Noto International Art Festival (2017), der Sydney Biennale (2016) und der Yokohama Triennale (2001) teil. 2015 vertrat Shiota Japan bei der 56. Biennale von Venedig.

KZ-Gedenkstätte Ebensee – Vom Vergessen zum Erinnern

Inmitten des oberösterreichischen Salzkammergutes liegt die KZ-Gedenkstätte Ebensee, die an die Schrecken des Nationalsozialismus erinnert. Ursprünglich plante das NS-Regime hier ein unterirdisches Rüstungsprojekt, das die Verlegung des Raketenforschungszentrums Peenemünde in bombensichere Stollen vorsah. Zwischen dem 18. November 1943 und dem 6. Mai 1945 mussten 8412 KZ-Häftlinge ihr Leben lassen, um diese Anlagen zu errichten.

Unter großem technischen Aufwand und dem rücksichtslosen Einsatz tausender Häftlinge wurden etwa sieben Kilometer Stollenanlage gebaut. Der Krankenstand der Arbeiter war auf maximal zwei Tage begrenzt, eine ärztliche Versorgung gab es nicht. Wer in diesen zwei Tagen nicht wieder gesundete, war dem Tod geweiht.

Obwohl die geplante Raketenproduktion nie stattfand, errichteten die Nationalsozialisten eine Erdölraffinerie aus geraubten französischen Teilen. Die Raffinerie produzierte bis 1947, bevor sie wegen Rohölmangels eingestellt wurde.

Heute sind die Stollen teilweise erhalten. Die Anlage A wird industriell genutzt, während in der Anlage B ein Gedenkstollen mit einer Dauerausstellung organisiert vom Verein Zeitgeschichte Museum besichtigt werden kann. Der KZ-Friedhof, der seit 1948 ein internationaler Gedenkort ist, erinnert jährlich im Mai an die Opfer. Der KZ-Gedenkstollen, der einzige zugängliche Stolleneingang, beherbergt seit 1997 eine dokumentarische Ausstellung zur Geschichte des KZ-Lagers Ebensee.

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