Mareike Fallwickl: Und alle so still

Mareike Fallwickl

Mareike Fallwickl | Foto: Rowohlt © Gyöngyi Tasi

Autorin: Mareike Fallwickl
Titel: Und alle so still – Roman
ISBN: 978-3-644-01338-4
Verlag: Rowohlt Verlag
Erschienen: 16. April 2024

Klappentext:

Ein großer feministischer Gesellschaftsroman über Widerspruchsgeist und Solidarität.

An einem Sonntag im Juni gerät die Welt aus dem Takt: Frauen liegen auf der Straße. Reglos, in stillem Protest. Hier kreuzen sich die Wege von Elin, Nuri und Ruth. Elin, Anfang zwanzig, eine erfolgreiche Influencerin, der etwas zugestoßen ist, von dem sie nicht weiß, ob es Gewalt war. Nuri, neunzehn Jahre, der die Schule abgebrochen hat und versucht, sich als Fahrradkurier, Bettenschubser und Barkeeper über Wasser zu halten. Ruth, Mitte fünfzig, die als Pflegefachkraft im Krankenhaus arbeitet und deren Pflichtgefühl unerschöpflich scheint.

Es ist der Beginn einer Revolte, bei der Frauen nicht mehr das tun, was sie immer getan haben. Plötzlich steht alles infrage, worauf unser System fußt. Ergreifen Elin, Nuri und Ruth die Chance auf Veränderung?

Anni Lemberger

Rezension von Anni Lemberger

Elin ist eine erfolgreiche Influencerin mit Tausenden von Followern. Sie bewegt sich jedoch auf dünnem Eis, bis zu einem Erlebnis, das alles verändert. Nuri, ein junger Mann von 19 Jahren, kämpft verzweifelt um sein finanzielles Überleben und befindet sich in einem Hamsterrad, aus dem es scheinbar kein Entrinnen gibt. Auch die 50-jährige Krankenschwester Ruth befindet sich in einer tiefen emotionalen und beruflichen Krise. Die menschlichen Aspekte des Pflegeberufs, die sie lange Zeit vernachlässigt hat, gewinnen zunehmend an Bedeutung für sie. Würde sie aufgeben, gäbe es keine „warm-satt-sauber“-Pflege mehr und kranke Menschen wären sich selbst überlassen.

Eines Tages wird Elin von ihrer Mutter aufgefordert, sich um ihre Großmutter zu kümmern, die sie bis zu diesem Zeitpunkt nicht kannte. Denn ihre Großmutter ist nicht mehr in der Lage, ihren Alltag zu bewältigen und liegt gemeinsam mit anderen Frauen einfach auf der Straße.

Es werden immer mehr. Eine einzigartige Bewegung beginnt, bei der sich die Wege von Elin, Nuri und Ruth kreuzen.

Die Autorin und Feministin widmet sich einem wichtigen Thema: der Sorgearbeit. Viele Frauen sind mit sogenannten Care-Tätigkeiten beschäftigt, werden dafür schlecht bezahlt und oft übersehen. Es sind (meistens) Frauen, die Kinder erziehen, sowohl in privaten Einrichtungen als auch in professionellen. Es sind meistens die Frauen, die auf ihre eigene Karriere verzichten und dem Mann den Rücken freihalten, damit er seine Karriere vorantreiben kann. Es sind vielfach Frauen, die im Pflegeberuf arbeiten. Männer im Pflegeberuf steigen schnell die Karrierestufe nach oben, während Frauen unten die Basisarbeit machen. Frauen sind es auch, die Ärzten assistieren und sich die Nöte der kranken Menschen anhören, der Dank dafür geht an den Arzt.

Und letztlich sind es die Frauen, die das System am Laufen halten und dennoch im Schatten stehen. Und genau hier setzt die Autorin in ihrem Roman an: Was wäre, wenn Frauen aufhören zu funktionieren und sich einfach still auf die Straße legen? Was wäre, wenn niemand mehr Putzarbeiten erledigt, niemand mehr kocht, wäscht, bügelt, Hotelbetten macht, pflegt, Ärzten assistiert?

Fallwickl beschreibt im Buch ein erschütterndes Szenario, was passieren würde, wenn abertausende Frauen ihre Funktion niederlegen und Männer versuchen, mit Gewalt dagegenzuhalten.

Sie zeigt uns auf einfühlsame Weise, wie schnell ein gesellschaftliches System ohne die Sorgearbeit der Frauen, die so viel Gutes tun, in sich zusammenbrechen würde. Die Autorin hat auch den jungen Mann Nuri mit ins Boot geholt, der ebenfalls schlecht bezahlte Arbeitsstellen besetzt und deshalb Verständnis für die Anliegen der Frauen hat. Zusammen kämpfen sie für Veränderungen.

Mareike Fallwickl ist eine begnadete Erzählerin. Sie versteht es wie keine Andere Gefühle, Zustände und Situationen farbenfroh und plastisch zu schildern. Dadurch gelingt es ihr, ihre Leserinnen und Leser in den Bann zu ziehen. Die beschriebene Situation der Pflegefachkraft Ruth hat mich sehr beeindruckt und auch emotional berührt. Sie hat bis zur völligen Erschöpfung an ihrem Pflichtbewusstsein festgehalten, während viele ihrer Kolleginnen sich der Rebellion angeschlossen haben. Es ist eine Vorstellung, die uns allen sehr nahe geht und uns zum Nachdenken anregt.

Denn: Was wäre wirklich, wenn…. ? Der Personalnotstand in vielen helfenden Berufen gibt ohnehin schon einen kleinen Vorgeschmack, auf diese Frage.

Ich hoffe sehr, dass dieses Buch aufrüttelt und die Verantwortlichen (Männer) zum Nachdenken anregt. Als größte Wertschätzung für diese Berufe wäre eine adäquate finanzielle Abgeltung und entsprechende Imagekampagnen wünschenswert, die auch für Männer „Care-Berufe“ in allen Bereichen attraktiv machen.

Ein wirklich lesenswerter und aufrüttelnder Roman, der zum Nachdenken anregt. Auch wenn das Szenario an manchen Stellen schwer auszuhalten ist, sollte man sich dennoch darauf einlassen und ihn dosiert lesen.


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