Matthias Gruber: Die Einsamkeit der ersten ihrer Art

Matthias Gruber

Matthias Gruber | Foto: Jung und Jung © Eva Krallinger-Gruber

Matthias Gruber: Die Einsamkeit der ersten ihrer Art

Autor: Matthias Gruber
Titel: Die Einsamkeit der Ersten ihrer Art – Roman
ISBN: 978-3-999027-199-5
Verlag: Jung und Jung Verlag
Erschienen: Juli 2023

Klappentext:

Sie ist vierzehn und wäre gerne wie andere Mädchen, vor allem schön. Doch Arielle hat kaum Haare am Kopf, mit ihren Zähnen stimmt was nicht, und obwohl Sommer ist, kann sie nicht schwitzen. Die Nachmittage verbringt sie mit ihrem Vater in den Wohnungen von Verstorbenen, um diese auszuräumen und das Brauchbare vom Müll zu trennen.

Während er am Abend weggeworfene Festplatten nach Kryptogeld durchsucht, wühlt sie sich auf alten Handys durch fremde Existenzen – bis sie eines Tages auf Pauline stößt und die Fotos, die sie auf dem Telefon des unbekannten Mädchens findet, ins Internet hochlädt.

Die Herzen fliegen ihr zu, auch das von Erich. Aber während ihr bald alles zu viel wird, findet ihre psychisch labile Mutter Gefallen an der ungewohnten Aufmerksamkeit und will den Kanal nutzen, um ihre ganz eigenen Träume zu verwirklichen.

Anni Lemberger

Rezension von Anni Lemberger

Das Erstlingswerk von Matthias Gruber ist ein moderner und neuartiger Roman, der mit dem Rauriser Literaturpreis 2024 ausgezeichnet wurde.

Arielle´s Großvater hat bald nach der Geburt ihrer Mutter das Weite gesucht und ihre Großmutter mit der kleinen Tochter allein gelassen. Er hat beiden aber etwas zurück gelassen: Eine ganz besondere Chromosomenanomalie, bei der Haare, Haut, und Zähne betroffen sind und die ganz besonders das Leben von Arielle beeinflusst. Sie hat kaum Haare, nur Stummel von Zähnen und ihr fehlen die Schweißdrüsen, was im Sommer nicht nur quälend, sondern auch lebensgefährlich ist. Immer wieder sucht sie deshalb am Boden des Schwimmbeckens nach einer Kühlung ihres überhitzten Körpers und taucht erst auf, wenn der Lufthunger sie dazu zwingt.

Arielle hilft ihrem Vater beim Entrümpeln von Wohnungen und findet dabei allerlei Brauchbares. Zudem pflegt sie eine ausgefallene Freundschaft mit Aljosa, dem Sohn eines Abfallentsorgers – und als Freundin steht ihr ihre Klassenkameradin Yasmin zur Seite.

Bei Yasmin sieht Arielle die Möglichkeiten, die die sozialen Medien bieten, wenn es darum geht, in eine andere Rolle zu schlüpfen und in die Welt der Schönen einzutauchen.

Nachdem sie das Handy einer fremden Frau, mit dem Namen Pauline findet, wechselt sie ihre Identität, lädt Paulines Fotos hoch und taucht in die  Scheinwelt der sozialen Medien ein. Als aber  die wahre Pauline auf das Fake-Profil stößt, möchte Arielle aufgeben, aber da hat längst schon ihre Mutter ihren Kanal für sich eingenommen und ihr ganzes Leben danach ausgerichtet.

Der Roman, der zwischen Märchen und Realität angesiedelt ist, erzählt einfühlsam vom Leben fernab der Schönheitsideale.

Die Protagonistin träumt von einem Leben in der Normalität, von dem sie aufgrund ihres veränderten Körpers, ausgeschlossen ist. So sucht sie in den Hinterlassenschaften nach fremden Identitäten – und findet diese Identität in Pauline´s verlassenem Handy, das diese mitsamt ihrer Fotos entsorgt hat. Somit taucht Arielle in die unbekannte Welt von Pauline ein und sonnt sich in dieser Schönheit. Die Herzen fliegen ihr zu – Arielle alias Pauline ist plötzlich begehrt, sie ist eine von ihnen – bis dieser Schein abrupt endet. 

Arielle liebt aber auch das Wasser, weil es ihr seit frühester Kindheit Kühlung gebracht hat. Immer wieder taucht sie ab bis zum Beckenboden und verweilt dort, bis sie dringend Luft holen muss.

Besonders angetan ist die Protagonistin aber von der Evolution des Lebens, das sich von den Kiemenatmern im Wasser zu Lungenatmern an Land entwickelt hat. Denn irgendwann ging ein fischähnliches Reptil an Land und atmete mit seiner Lunge weiter. Arielle ist fasziniert vom Ichthyostega dem ersten Lungenatmer, der die Metamorphose vom Wassertier zum Landtier vollzogen hat und als „erster seiner Art“ auf der Erde gelebt hat. Diesem Wesen fühlt sie sich nahe, weil sie mit ihm „die Einsamkeit der ersten ihrer Art“ teilt, als das sie sich selber fühlt. Nur strebt Arielle die Metamorphose in umgekehrter Reihenfolge an, weil sie ihrem Erleben nach, auf der Erde verbrennt.

Ein sehr feinsinniger, gut geschriebener Roman, der den Leser in eine fremde, aber fesselnde Welt entführt. Ganz besonders gelungen finde ich das Cover des Buches, das aufgrund seiner Rätselhaftigkeit die Neugier entfesselt und gemeinsam mit dem Buchtitel bereits auf die Besonderheit dieses Romans aufmerksam macht.

Ein gelungener und besonderer Debütroman des Autors, der den Literaturpreis mehr als verdient hat.


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