Die ungläubigen Facebook-Freunde

Rom Facebookfreunde

Statuen am Petersdom in Rom | Foto: © 1982 Karl Traintinger

In letzter Zeit beglückt mich das soziale Netzwerk mit religiösen Themen. Atheistisches Gespött voll Plattitüde und Häme.

Reinhard Lackinger

Von Reinhard Lackinger,
Pensionierter Beislwirt in Salvador, Bahia, Basilien

Anfangs ignorierte ich, was vermutlich nur der Hilferuf einer gepeinigten Seele war, ich aber als Angriffslust interpretierte. Als alter Kapfenberger bin ich nämlich gegen antiklerikale Binsenweisheiten immunisiert und sogar öfter geimpft als gegen Covid.

Beim Posting eines Facebook-Freundes, der sonst kluge Meinungen abgibt, hielt ich inne und fragte mich, warum das theologische Verständnis gebildeter Menschen in den ersten Jahren der Grundschule sitzen geblieben ist.

Möglicherweise vergrämte sie die Bigotterie, die Frömmelei vieler Kirchgänger und die Geheimniskrämerei mancher geistlichen Herren? Im Vatikan der frühen sechziger Jahre öffnete Papst Johannes XXIII etliche Fenster und ließ den Heiligen Geist in ungelüftete Räume.

Ein halbes Jahrhundert später und 2015 sorgte Papst Franziskus für eine wichtige Neuigkeit. In seiner Enzyklika „Gelobt Seist Du“ sagt er mit Großbuchstaben, was bereits vor ihm, aber zu manierlich suggeriert und viel zu zaghaft geraunt wurde.

In unseren Ohren widerhallt immer noch der Bibeltext: „Herrschet über die Erde und machet sie euch untertan“. Wir haben diese Worte nie ernsthaft hinterfragt.

Wollte ich dem Lobbyismus des Agrobusiness die Schuld für diesen Diskurs geben, würde ich mich vermutlich zu den Baumschulabsolventen stellen, die im Herrgott einen alten Mann mit langem, weißem Bart, strengem und zugleich mildem Blick sehen.

Von nun an sollen wir nicht mehr „machet euch DIE Erde untertan” sagen, sondern „machet euch DER Erde untertan!” Diese Aktualisierung des Bibelverständnisses schmeißt auch meine Vorstellung von Adam und Evas Paradies über den Haufen.

Als spätberufener Katholik nehme ich die kindliche Vorstellung vom Garten Eden nicht ernst. Auch will ich mein Gehirn keinesfalls mit dem Alten Testament belasten. Mir genügt die Frohe Botschaft Christi.

Trotzdem sind mir Bilder berühmter Maler bekannt, die uns das Paradies veranschaulichen.

Vor den Augen meiner Erinnerung zeigen Gemälde eine liebliche, sommerliche Landschaft mit blauem Himmel, viel Grün, Bäumen, Sträuchern und Blumen mit wohlriechenden Blüten. Ein Bächlein fließt durch die üppige Natur. Lammfromme Kreaturen und Raubtiere verkehren in Frieden miteinander.

Ein nackter Mann und eine ebenso unbekleidete Frau folgen dem Willen Gottes. Glücklich und leichten Herzens genießen sie die Gnade des Allmächtigen.    

Den bildenden Künstlern war es gelungen, eine Aura aus unbeirrbarem Glauben an das Gute und an Gott Vater zu schaffen.

Irgendwann kam es aber doch zum Sündenfall. Sie haben sich selbst von Gott losgesagt, sagt die Heilige Schrift. Danach fehlte ihnen das Licht der Gnade…

Ermutigt durch Papst Franziskus´ tapferen Worte kehrte ich zur Adjustierung des üblichen Wortlautes der Bibel zurück, denn ich war mit der Apfel-Schlange-Eva-Adam-Legende gar nicht zufrieden.  

Es hat immer schon Schwache und Starke, friedfertige Menschen und Völkermörder gegeben.

Um mit der Ursünde am Baum der Erkenntnis eine adäquate Analogie herzustellen, müsste ein besonders schwerwiegendes Vergehen strapaziert werden und keine läppische und unmaßgebliche Zuwiderhandlung wie jener Biss in den Apfel.

Deshalb verwerfe ich die Idee mit der Schlange, mit der Paradiesfrucht und ziehe das reife, goldgelbe Obst des weiblichen Marulabaums vor das im Organismus der Lebewesen gärt und alle, die davon gegessen haben, trunken macht.

Leider bleibt die theologische Infantilisierung nicht im Katechismus. Sie führt weiterhin zu Zwangsgedanken, dass jeder nichtigen Verfehlung ein viel zu großes Gewicht beimisst.

Besonders neocharismatische Prediger legen großen Wert auf kleine Sünden. Sie bekämpfen nicht nur Alkohol, Drogen und das Zuwiderhandeln gegen das sechste Gebot.

Mit anderen Worten, aus den Augen und aus dem Sinn mit jenen fünf Krügeln Bier, vier Gläsern Wein, drei Stamperln Schnaps, zwei Joints und einem Seitensprung. Gleichgeschlechtliche Liebe verteufeln diese Gottesdiener am liebsten.

Mit welchem Argument pariere ich nun den Facebook-Beitrag eines Atheisten der fragt: „Wenn es einen Gott gibt, warum erlaubt er Hungersnot, Pandemien, Kriege, Genozide und andere Katastrophen?“

Zu zweit, der Ungläubige mit seinen Zweifeln und ich mit meiner vorgeblichen Gewissheit, können wir unseren vagen Vermutungen ein paar Schritte weiter folgen, als wir es üblicherweise tun. Dabei verlassen und entsorgen unsere Gedanken die kindlichen und müßigen Bilder des Paradieses, das mittlerweile einem Luxusresort, einem Tempel des Konsums und der Unterhaltung gleicht, in dem sich Individuen wie zufriedene Herdentiere vergnügen.

Draußen aber warten Dornen und Disteln mit Abertausenden annehmlichen und irrtümlichen „Unannehmlichkeiten“ auf unser volles Leistungspotential.

Warum also soll der Acker verflucht sein? Mir erscheint er gesegnet und göttlich, erlaubt uns, ganz und gar ausgelastet, beschäftigt und vollständig Mensch zu sein.

Ob wir im Schweiße unseres Angesichts imstande sein werden, die Erde vor der Habgier zu retten, weiß ich nicht.

Von domestizierten Genießern in ihren klimatisierten Limousinen, Yachten, Einkaufszentren, Klubs, Showlokalen und Luxusvillen dürfen wir wohl keine interessanten Tätigkeiten erwarten.

Höchstens Selfies im Facebook.

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