Peter Altmann: Die Nächte von Bangkok

SimonPeterAltmann

Peter Simon Altmann | Foto: Edition Laurin

Peter Altmann: Die Nächte von Bangkok

Autor: Peter Altmann
Titel: Die Nächte von Bangkok – Erzählungen
Verlag: Edition Laurin; 1. Edition
ISBN-10 ‏ : ‎ 3903539317
ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3903539310
Erschienen am 27. Juli 2023

Klappentext

Was haben Salzburg und Bangkok gemeinsam? Beides sind Städte für Peter Simon ­Altmanns Flaneure, die an einem Wendepunkt in ihrem Leben stehen. Sie möchten sich von ihrer Vergangenheit abkehren, erhoffen sich eine bessere Zukunft, als die gegenwärtigen Umstände ihnen zu bieten scheinen. Der Loslösungsprozess von liebgewordenen Menschen und Orten ist teils mit schmerzlichen Trennungen verbunden.

In Zwölf Jahre und ein Tag sagt ein Mann einem Land ade, in dem er zwölf Jahre gelebt hat, und lässt seine dortigen Erlebnisse nochmals Revue passieren. In der Erzählung Rejoice! versucht die Hauptfigur bei einer Bergwanderung Klarheit darüber zu gewinnen, ­warum der ­Kinderwunsch seiner Freundin in ihm Ängste auslöst und ob er sich nicht von ­seiner Freundin trennen soll. Bei zwei der insgesamt sieben Erzählungen ist es der Ausbruch der Corona-Pandemie, der das Leben neu überdenken lässt. Aus dem besonderen Blickwinkel seiner sympathischen Einzelgänger und mit seiner gekonnten Komposition aus Sinnlichkeit und Philosophie nimmt Peter Simon Altmann seine LeserInnen auf diese Stadtspaziergänge mit.

Von Peter Reutterer
Autor und Musiker, Henndorf

In den sieben neuen Erzählungen ist Peter Simon Altmann wieder in Salzburg und Ostasien unterwegs. Und wie für die vorigen Prosabände „Das Andere“ und „Der zweite Blick“ gilt auch für den neuen: Der Salzburger Autor, der sich in Japan, Südkorea, China und Thailand zur Arbeit aufhielt, weiß, wovon er spricht. Abwege verschiedenster Art scheut der Flaneur nicht. Wie in den vorigen Publikationen erweist sich der Autor als scharfsinniger Essayist, wenn er sich philosophischen und kulturvergleichenden Gedankengängen – v.a. mit Blick auf Ostasien – zuwendet. Aber ebenso geradlinig und ungeschminkt tritt er als Frauenliebhaber auf, der Sex und Erotik vornehmlich als lustorientiertes Geschäft versteht. Die titelgebende Erzählung könnte manch moralisierenden Leser provozieren.

Sowohl die kulturphilosophische wie auch die erotische Obsession sind gleich in der ersten Geschichte präsent: Der Ich-Erzähler macht sich auf den Weg zur Kolowratshöhle am Untersberg, um Klarheit über eine Liebesbeziehung zu gewinnen. Vom Kinderwunsch der Frau bedrängt, überlegt der erzählende Mann eine Trennung. Wissenschaftliches mischt sich mit einem morgenländischen Märchen: Ein Heiliger sei erst durch den Gesang eines Liebespaares vom ihn quälenden Geräusch des sich beständig drehenden Zeitrades erlöst worden.

In der Folgeerzählung „Nachmittag eines Fauns“ wird in ähnlicher Weise das eigene Leben des wankelmütigen Liebhabers hinterfragt. „Neuerdings macht mir mein unsteter Lebenswandel keinen Spaß mehr.“ (S.17)

Weniger selbstkritisch, dafür aber mit schnörkelloser Ehrlichkeit kommen uns – wie bereits angekündigt – die fünf „Nächte von Bangkok“ entgegen. Ein wenig erschrickt der Erzähler anfangs selbst vor diesem anderen, fremden lustgesteuerten Ich. „Das Bild befremdet mich, so als würde ich in der Nacht zu einem anderen werden…“ (S.42), bevor er umgekehrt in Erwägung zieht, dieses Nacht-Ich als das eigentliche Selbst anzuerkennen.

In der Folge wird der Leser aber mit der Szenerie thailändischer Prostitution in aller Deutlichkeit konfrontiert. Ob es Selbstschutz ist oder Respekt, der Erzähler will die Frauen nicht „Prostituierte“ nennen, selten seien sie „nuttig“ angezogen (S.44). In der ersten Nacht wird im „Biergarten“ eingekehrt, in der zweiten in der Thermae Bar, wo die „weiblichen Wesen“ jünger, schöner und teurer seien. Dass am Beginn der zweiten Nacht ein kleiner Exkurs über die Rituale und Tänzerinnen beim Erawan Schrein eingefügt ist, charakterisiert den Erzählgestus des eleganten Flaneurs recht gut. Scheinbar Gegensätzliches ist Teil eines ganzheitlichen Gebildes.

Wirklich gepackt wird man aber v.a. von der ganz konkreten, in glasklarer Prosa dargebotenen Außen- und Innenschau. An der Straße zum Roundabout würden „die Frauen“ nur 21€ kosten, wird z.B. lakonisch festgehalten. Die Kontaktanbahnung wird in ihrer Unkompliziertheit ausgebreitet. Rückhaltlos gegenüber der eigenen Person werden sowohl Aspekte des Geschäfts als auch des Lustgewinns entsprechend eigener Vorlieben ausgerollt. Die Frauen seien dabei recht austauschbar, auch das wird nicht beschönigt. „So drehe ich erneut eine Runde, auf der Suche nach ihr oder einer anderen.“ (S.53)

Am Ende der „dritten Nacht“ und in der „vierten Nacht“ steigert sich Altmanns Geschichtenerzählen ins Brisante. Das Sex konsumierende Erzähler-Ich meint: Die Thailänderinnen „haben sich die Unschuld von Kindern bewahrt, spielen einem nichts vor und lassen sich beim Kopulieren gern Zeit. Sie wirken rundum glücklich und zufrieden mit ihrem Leben auf mich.“ (S.54) Oder ein wenig später berichtet er, eine kurze Zeit würden Bauerntöchter von ihren Vätern in die Stadt geschickt, um fallweise Geld für Sex zu nehmen. Man könne sie kaum als Huren ansehen (Vgl. S.57). Es würde mich nicht wundern, wenn der Autor für solche Betrachtungen von der derzeit kursierenden moralischen Korrektheit heftig angefeindet würde. Solche etwas schrägen Reflexionen passen ins Ganze dieses Büchleins, der Leser würde sich an dieser Stelle allerdings etwas Sozialkritik am kapitalistischen Sexmarkt Bangkoks erwarten. Aber der originäre Erzählgestus eines speziellen Autors verbietet wohl solch ein Entgegenkommen gegenüber der Lesererwartung.

Durchaus interessant erscheint mir, dass in der fünften Nacht die Liebe sich regt. Nachdem die berauschende „Mint“ gepriesen wurde, heißt es: „ich muss achtgeben, dass ich mich nicht in Mint verliebe.“ (S.61) Was ebenso im Zusammenhang mit der Erzählung „Die Nächte von Bangkok“ nicht vergessen werden darf: Bei aller Deutlichkeit der Erotik bleibt Altmanns Erzählung sehr fein und präzise, niemals irgendwie kitschig oder gar unappetitlich.

In den folgenden Erzählungen der zweiten Hälfte geht es um Neuanfänge. Die eine nennt sich „Incipit vita nova“, ein Spaziergang während der Pandemie fördert aber wenig Ergiebiges zutage. Mir scheint, die aktuelle Literatur ist insgesamt am Thema gescheitert (sieht man von Maria Bodrozic ab). Was soll man auch über leere Plätze, Vogelgezwitscher und „Maßnahmen“ großartig erzählen. Griffiger werden da „Der erste Tag im Jahr des Tigers“ und „Erinnern und Vergessen“. Wiederum geht es um die Frage fester Bindung, aber auch um das Thema, noch einmal Vater zu werden. Insgesamt geht es um persönliche Weiterentwicklung. Als Resultat wird die Innenschau von Augustinus – und analog damit auch der reflektierenden Hauptfigur – in Frage gestellt. „Sonnleithner hatte aber die letzten Wochen lange genug ins Leere gestarrt.“ (s.106)

Vielleicht leitet ja dieser geniale Schlusssatz von Peter Simon Altmann neue Varianten seines Schreibens ein. In den ersten Geschichten noch aus der Ich-Perspektive dargestellt, wird im zweiten Teil ins personale Erzählen gewechselt. Eine interessante Wendung: Als ob sich die radikale Selbstbezogenheit totzulaufen begänne.

Das Büchlein ist aber in jedem Fall als vielseitige, spannende Lektüre zu empfehlen und verdient innerhalb der Neuerscheinungen des Jahres in seiner Qualität wahrgenommen zu werden. In besonderer Weise möchte ich nicht versäumen, auf die stilistische Eleganz Altmanns zu verweisen, die dem Leser bereits aus den vorherigen Publikationen bekannt ist. Wer skizziert heute beispielsweise eine Abendstimmung in dieser eingänglichen Art: „Als das Tageslicht beinahe vollkommen erloschen war und die Straßenlaternen zündeten, fand sich Georg….“ (S.64).

Und die eigenen Wege einer ausgeprägten Schriftsteller-Persönlichkeit müssen wohl abschnittsweise auch Abwege sein.


Dorfgockel

Sie schätzen die Buchkritiken in der Dorfzeitung?
Freunde helfen der Dorfzeitung durch ein Abo (=Mitgliedschaft)! Wir sind sehr stolz auf die Community, die uns unterstützt! Auf diese Weise ist es möglich, unabhängig zu bleiben.

INSERT_STEADY_CHECKOUT_HERE

Diesen Artikel empfehlen. Teilen mit:

Visits: 36

Dorfladen

Kommentar hinterlassen zu "Peter Altmann: Die Nächte von Bangkok"

Hinterlasse einen Kommentar

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.


*