Juli Zeh: 4B Corpus Delicti

Juli Zeh

Juli Zeh | Foto: Luchterhand ©Peter v. Felbert

Autorin: Juli Zeh
Titel: 4 B Corpus Delicti – Ein Prozess
IBAN: 978-3-641-24270-1
Verlag: Luchterhand Literaturverlag
Erschienen: 6.8.2018

Klappentext:

Ein aufrüttelndes Schreckensbild unserer Zukunft…

Jung, attraktiv, begabt und unabhängig: Das ist Mia Holl, eine Frau von dreißig Jahren, die sich vor einem Schwurgericht verantworten muss. Zur Last gelegt wird ihr ein Zuviel an Liebe (zu ihrem Bruder) ein Zuviel an Verstand (sie denkt naturwissenschaftlich) und ein Übermaß an geistiger Unabhängigkeit.

In einer Gesellschaft, in der die Sorge um den Körper alle geistigen Werte verdrängt hat, reicht dies aus, um als gefährliches Subjekt eingestuft zu werden. Juli Zeh entwirft in »Corpus Delicti« das spannende Science-Fiction-Szenario einer Gesundheitsdiktatur irgendwann im 21. Jahrhundert, in der Gesundheit zur höchsten Bürgerpflicht geworden ist.

Anni Lemberger

Rezension von Anni Lemberger

In der Mitte des 21. Jahrhunderts hat die „Methode“ die Gesellschaft fest im Griff. Ausgehend von der Annahme, dass eine gesunde Lebensweise und eine keimfreie Umgebung eine Gesellschaft ohne Krankheiten hervorbringt, wird in der „Methode-Diktatur“ der Mensch zu einem völlig transparenten Individuum. Angefangen von der täglich verpflichtenden sportlichen Aktivität, hin zur gesunden Ernährung und einem absoluten Suchtmittelverbot, wird alles mittels implantierter Sensoren überwacht – ja sogar die Toiletten sind mit (Magen-)Säuresensoren ausgestattet. Weiter ist jede Person verpflichtet, in bestimmten Abständen Harn- und Blutchecks durchführen zu lassen. Auch die Ehen werden arrangiert und so dürfen nur mehr Menschen mit kompatiblen Immunsystemen heiraten.

Selbstständig denkende Menschen sind in dieser Gesellschaft unerwünscht, denn hier wird nichts dem Zufall überlassen. Und Infektionskrankheiten sind in den 20er Jahren des 21. Jahrhunderts bereits ausgerottet worden.

In diesem Gesundheitsdiktat lebt Mia Holl mit ihrem Bruder Moritz. Während Mia versucht nicht aufzufallen, strebt Moritz offensichtlich nach Freiheit, geht in den verbotenen Wald und verlässt damit den „zulässig, aseptischen Bereich“, weil er für das „Recht auf Krankheit“ (R.A.K.) kämpft. Gelegentlich nimmt er auch Mia in den Wald mit, was ihr später zum Verhängnis wird. Für beide ist der Wald „ihre Kathedrale“ – eine kleine Oase des Glücks. 

Durch seinen offensichtlichen Widerstand gerät Moritz in den Fokus der Gesundheitswächter, wird in die Falle gelockt und des Mordes angeklagt. Als Moritz in der Haft Selbstmord begeht, wird auch Mia zur Rebellin, mit fatalen Konsequenzen.

Was für eine düstere Zukunftsvision – aber seit Corona sind verpflichtende Gesundheitsmaßnahmen und deren Gegenspieler, vertrauter denn je.

Die Originalversion des Buches wurde erstmals 2009 veröffentlicht, 2018 wurde es neu aufgelegt und seit der Pandemie schwebt die Angst vor neuerlicher staatlicher Gesundheitskontrolle immer noch über den Köpfen der Menschen – was die Handlung des Buches näher an die Realität bringt.

Die Protagonistin ist eine unwahrscheinlich starke, gradlinige junge Frau, die seit dem Tod ihres geliebten Bruders möglichst viel von ihm und seiner Haltung in sich aufnehmen möchte. Durch ihre offen gelebte Trauer um Moritz vernachlässigt sie ihr Gesundheitsprogramm und bekommt gerichtliche Auflagen und das Angebot psychologischer Betreuung. Mia will aber von der Methode nichts mehr hören, verweigert alle Auflagen und kommt in eine fatale Abwärtsspirale von Intrigen und Lügen. Sie verliert (fast) alles, nur ihre Würde lässt sie sich nicht nehmen. Mia überlebt zwar die drakonischen Strafen, das Ende bleibt aber offen und ist der Phantasie der Leser überlassen. 

Der Gegenspieler von Mia ist der Journalist Krammer, der an Sadismus, Fanatismus und Boshaftigkeit vor nichts zurück schreckt und alles aufbietet, um Mia zu vernichten, denn die Methode ist nicht unfehlbar, versucht dies aber durch falsch gelegte Spuren und Verleumdungen zu kaschieren – und sie hat Angst  vor ihren Gegnern.

Wer die Drahtzieher hinter dem Diktat sind, lässt die Autorin offen. Stellvertretend steht der öffentlich bekannte Journalist Krammer ganz vorne als Bösewicht und die Gerichtsbarkeit als ausführende Organe unmenschlicher Gesetze.

Sowohl die Autorin, als auch die kurz zurück liegende Pandemie haben mich veranlasst, zu diesem Buch zu greifen, obwohl es nicht mehr druckfrisch ist. Juli Zeh ist eine Meisterin feinsinniger und aussagekräftiger Literatur und das hat sie auch mit diesem Buch erneut bewiesen.

Sie hat mit einer Klarheit das Funktionieren von Diktaturen beschrieben. Wer gegen den Strom schwimmt, wird meist durch entsprechende Programme umerzogen.

Eine Erkenntnis hat mir dieses Buch aber klar vor Augen geführt: Auch, auch wenn staatlich verordnete Seuchenmaßnahmen manchmal überschießend sind, mit einer Diktatur haben sie nichts zu tun.


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