Mareike Fallwickl: Die Wut, die bleibt

Mareike Fallwickl

Mareike Fallwickl | Foto: Rowohlt © Gyöngyi Tasi

Autorin: Mareike Fallwickl
Titel: Die Wut, die bleibt – Roman
ISBN e-book: 978-3-644-01330-8
ISBN Printversion: 978-3-498-00296-1
Verlag: Rowohlt Verlag GmbH
Erschienen: 22.03.2022

Klappentext:

Helene, Mutter von drei Kindern, steht beim Abendessen auf, geht zum Balkon und stürzt sich ohne ein Wort in den Tod. Die Familie ist im Schockzustand. Plötzlich fehlt ihnen alles, was sie bisher zusammengehalten hat: Liebe, Fürsorge, Sicherheit.

Helenes beste Freundin Sarah, die Helene ihrer Familie wegen zugleich beneidet und bemitleidet hat, wird in den Strudel der Trauer und des Chaos gezogen. Lola, die älteste Tochter von Helene, sucht nach einer Möglichkeit, mit ihren Emotionen fertigzuwerden, und konzentriert sich auf das Gefühl, das am stärksten ist: Wut.

Drei Frauen: Die eine entzieht sich dem, was das Leben einer Mutter zumutet. Die anderen beiden, die Tochter und die beste Freundin, müssen Wege finden, diese Lücke zu schließen. Ihre Schicksale verweben sich in diesem bewegenden und kämpferischen Roman darüber, was es heißt, in unserer Gesellschaft Frau zu sein.

Anni Lemberger

Rezension von Anni Lemberger

Kurz vor dem Abendessen telefoniert Helene noch mit ihrer besten Freundin Sarah, so wie sie jeden Tag miteinander telefonieren. Helene beendet das Gespräch mit dem Hinweis, dass die Kartoffeln fertig gekocht sind und sie aufhören müssen. Es sollte das letzte Mal sein, dass Sarah mit Helene sprechen kann.

Während des Abendessens steht Helene vom Tisch auf, sie lässt ihre drei Kinder und ihren Ehemann am Tisch zurück, öffnet die Balkontüre und springt 12 Meter in die Tiefe.

Die 14 Jährige Lola reagiert in der Folge mit einer Essstörung, selbstverletzendem Verhalten und ganz viel Wut im Bauch und findet für sich eine, keineswegs konstruktive, Lösung in diesem Dilemma.

Sarah, die beste Freundin Helenes seit der Kindergartenzeit versucht zu helfen und wird von Helenes Witwer immer mehr in einer passive Rolle in die Nachfolge Helenes genötigt.

Helene fehlt überall und Sarah nimmt immer mehr ihre Hausfrau- und Mutterrolle in der Familie ein, obwohl sie ein eigenes Haus hat. In Sarahs Haus macht sich einstweilen ihr Freund Leon immer mehr breit, während sie mit Helenes zurück gebliebener Familie in der engen Wohnung lebt.

Immer mehr beginnt in dieser Zeit aber auch Sarahs Beziehung zu bröckeln, nicht nur wegen dem zunehmenden Abstand, sondern auch weil sie zunehmend abnorme Muster im Zusammenleben von Männern und Frauen erkennt, die sie als störend wahrzunehmen beginnt. Sarah beginnt sich zunehmend in Helenes Situation einzufühlen und die „Gefangenschaft und Endgültigkeit“ ihres Lebens zu erahnen.

Aber erst als Lolas Wut immer mehr an die Oberfläche drängt und so von Sarah wahrgenommen wird, beginnt auch sie etwas an dieser Situation zu ändern.

Ein erschütternder und tragischer Roman über die Rolle von Frauen in der heutigen Zeit: Über Erwartungen, ihrer Hausfrau- und Mutterrolle, über Berufstätigkeit, Corona und Lockdown, über Emanzipation, über unausgesprochene Konflikte und vor allem über Wut, über viel Wut, über zerstörerische Wut.

Auf die Autorin bin ich durch ein TV Interview aufmerksam geworden – so habe ich nach ihrem neuen Buch „die Wut, die bleibt“ gesucht.

Bereits die Einleitung hat bei mir Gänsehaut ausgelöst: Sie beschreibt eine alltägliche Situation im Leben „der Schattenprotagonistin“ Helene, die sich aber bereits in einer Aussichtslosigkeit gefangen sieht. Der Lesende erlebt Helene in einer dissoziativen Situation verharrend. Die belanglos gesprochenen Worte am Tisch haben in ihrem Kopf längst eine zerstörerische Bedeutung erlangt und so steht sie wortlos vom Esstisch auf, macht keinen Blick zurück, öffnet die Türe und springt vom Balkon in den Tod.

Die beiden weiteren Protagonistinnen versuchen ein Leben ohne Helene, aber sie lassen  Helene nicht los, holen sie immer wieder in ihr Leben hinein. Sarah beginnt Zwiegespräche mit ihr, sieht sie immer noch vor sich und neben sich stehen und Lola fragt sich immer wieder, „was würde Mama machen?“

Während Sarah dabei immer mehr in die Rolle der duldsamen Frau und Mutter hineinwächst, katapultiert sich die pubertierende Lola durch ihre Wut und nach einem schockierenden Erlebnis aus der weiblichen Duldsamkeit hinaus. Sie schließt sich einer weiblichen „Kampftruppe“ an und kämpft gegen männliche Präpotenz und männliche Gewalt. In diesen Sog zieht sie irgendwann Sarah mit hinein.

Ein unwahrscheinlich aufrüttelndes, berührendes, sehr emotionales aber auch sehr  provozierendes Buch, das zum Diskutieren anregen sollte. Sprachlich großartig und wortgewaltig geschrieben und als feministischer Roman (dezent) gegendert.

Viele Leserinnen dieses Buches werden vermutlich ihre Rolle als Frau in der heutigen Gesellschaft neu überdenken und vielleicht auch neu ausrichten.

Ein grandioses, hoch emotionales Buch, das zum Nachdenklich anregt.

Dorfzeitung.com

Die Dorfzeitung abonnieren

Die Dorfzeitung braucht eine Community, die sie unterstützt. Auf diese Weise ist es möglich, unabhängig zu bleiben. Freunde helfen durch ein Zeitungsabo (Steady-Mitgliedschaft). Herzlichen Dank für Deine/ Ihre Mithilfe!

INSERT_STEADY_CHECKOUT_HERE

Diesen Artikel empfehlen. Teilen mit:

Visits: 38

Dorfladen

Kommentar hinterlassen zu "Mareike Fallwickl: Die Wut, die bleibt"

Hinterlasse einen Kommentar

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.


*