Arne Jensen: Etwas verborgen Schönes

Arne Jensen | Foto: Heyne © Florian Läufer

Arne Jensen | Foto: Heyne © Florian Läufer

Arne Jensen: Etwas verborgen Schönes

Autor: Arne Jensen
Titel: Etwas verborgen Schönes – Roman
ISBN: 978-3-453-42653-5
Verlag: Wilhelm Heyne Verlag
Erschienen: 13.12.2023

Klappentext:

„Wenn man dem Herzen keinen Raum gibt, stirbt es.“

Uckermark, 2022: Ein altes Gutshaus nicht weit vom Nirgendwo entfernt, mitten im Juli. Die Neunzigjährige Ottilie Rabe versammelt ihre weit verzweigte Verwandtschaft, um ihren Nachlass zu regeln. Doch das Treffen reißt alte Wunden auf. Vor allem will sie einem blinden Fleck in ihrer Erinnerung nachgehen. Denn Ottilie hat über Jahrzehnte etwas verheimlicht, und das ist so ungeheuerlich, dass es ihrer aller Leben für immer verändern wird.

Berlin, 1944: Ein hochrangiger Gestapo-Offizier wird tot in seiner Wohnung aufgefunden, er wurde mit einem Hammer erschlagen. Der ermittelnde Kriminalrat Werner Beltheim steht unter großem Druck, den Fall rasch aufzuklären. Dringend tatverdächtig ist die Tochter des Toten, die neben ihm auf einem Hocker sitzt. Ihr Name ist Ottilie Rabe …

Anni Lemberger

Rezension von Anni Lemberger

Ottilie Rabe, von ihren Freunden Lili genannt, blickt auf sehr langes Leben zurück. Zum Ende dieses Leben möchte sie – zum einen, ihrer Familie endlich „reinen Wein einschenken“, zum anderen aber ist ihr Bestreben, ein von ihrer jungen Psyche bis heute  verdrängtes, traumatisches Ereignis, wieder ins Bewusstsein zu bringen.

Dazu haben sie und ihr Lebensgefährte und Anwalt Ebbi einen Detektiv beauftragt, Akten aus dem Jahre 1944 zu sichten und Fakten daraus sicher zu stellen.

2022 soll die lange zurück liegende Wahrheit ans Tageslicht kommen. Dazu werden auch entfernte Verwandte eingeladen, weil die aus den 1944 engen, inzwischen weit verzweigte Familienmitglieder geworden sind.

Die sukzessiv zu Tage tretende Wahrheit erschüttert das Leben aller Anwesenden, die zuerst aggressiv, dann mit Rückzug auf die Offenbarungen reagieren – letztendlich aber bereit sind, sich dieser Verantwortung zu stellen und sie somit zu verarbeiten beginnen. Die alles entscheidenden Frage ist: Wer tötete Walter Rabe im Jahr 1944?, – und die Antwort löst eine Kettenreaktion an Ereignissen aus, die weit über diesen Mordfall hinaus wirken.

Ein interessanter Roman rund um ein tabuisiertes Thema, in dem Gegenwart und Vergangenheit zusammen fließen.

Die Protagonistin kommt als sehr starke Frau rüber, die im Laufe von über 90 Lebensjahren eine Vielzahl an Problemen bewältigen musste. Dabei hatte sie zwei intolerante Diktaturen zu überstehen: Das nationalsozialistische Deutschland und später dann die deutsche demokratische Republik.

Etwas ungewohnt war dabei für mich, dass der Autor die Geschichte der alten Lili im Jahr 2022 aus der Sichtweise der Enkelin Nairi erzählen lässt.

Ideen gebend war für Arne Jensen– wie er im, dem Buch beigefügten, Interview betont, die wahre Geschichte der transsexuellen Frau Charlotte von Mahlsdorf, die in der Nazizeit gelebt hat.

Der Autor hat diesbezüglich sehr gut recherchiert, was es bedeutete, in der Nazizeit „ein entartetes Leben“ zu führen. Offensichtlich hatten es die Nazischergen, trotz aller Gründlichkeit, übersehen, dass es aus der Weimarer Republik ein Gesetz gab, dass es „Transvestiten“ ermöglichte, den Personenstand zu ändern – vorausgesetzt sie hatten keine homosexuelle, gleichgeschlechtliche Beziehung. Homosexuelle Menschen landeten sehr schnell „gebrandmarkt mit einem rosa Aufnäher“ in einem KZ. Umgekehrt in der DDR, wurden gerade solche Personenstandänderungen durch die Nazi´s von den SED Bonzen mit großem Argwohn betrachtet.

Was mich aber besonders berührt hat, war die Tatsache, wie weit sich das Verhalten der Ur-, Großväter und Väter während der NS-Zeit auf das heutige Leben der Nachkommen auswirken kann. Die Frage der nachkommenden Generationen im Jahr 2022 wird in diesem Buch durchaus dramatisch dargestellt: Wo stand mein Vater/Großvater/Urgroßvater damals?: Auf der Seite der Guten oder der Bösen?, welche Andenken darf ich an ihn haben?, war er Opfer oder Täter?, und was wurde aus ihnen nach der Nazi- bzw. DDR-Zeit, wenn sie auf der „falschen Seite“ standen?

Ein spannendes und interessantes Buch als Teil der Vergangenheitsbewältigung, aber auch als großartiges Beispiel, wie wichtig der Mensch ist und wie unwichtig sein geschlechtlicher Eintrag im Pass ist.

Der einzige Wermutstropfen an diesem Buch war, dass es zwar sehr gut recherchiert und auch gut nachvollziehbar war, aber der Autor stellenweise zu sehr ins Detail ging, was leider passagenweise das Lesen etwas langatmig machte. Aus den fast 600 Seiten starken Wälzer wäre etwas gekürzt ein einzigartiges Werk geworden.

Trotzdem habe ich die Protagonistin Lili während des Lesens, als starke Persönlichkeit ins Herz geschlossen und völlig vergessen, dass sie sich seit früher Kindheit als Mädchen und später als Frau fühlt(e), aber vom Aussehen immer noch ein Mann ist.

Ich selber habe sehr viel über die Geschlechtsidentität von Menschen nachgedacht und bin für mich zu dem Schluss gekommen: Vielleicht definiere(n) ich (wir) den Menschen viel zu sehr über seine Geschlechtszugehörigkeit und vergessen dabei die Persönlichkeit dahinter?

Ein Buch, das Brücken aufbaut und Vorurteile abbaut, und etwas gekürzt würde ich es als absolut gelungen bezeichnen.


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