Brita Steinwendtner: Gesicht im blinden Spiegel

Brita_Steinwendtner

Brita Steinwendtner | Foto: Wolfram Steinwendtner

Autor: Brita Steinwendtner
Titel: Gesicht im blinden Spiege
Verlag: Otto Müller Verlag Salzburg
371 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag
ISBN: 978-3-7013-1279-5
Veröffentlicht: August 2020

Klappentext:

Johannes ist jung, musikalisch und kriegsbegeistert. Mit sechzehn Jahren zieht er im Juli 1866 als Trompetenspieler in die Schlacht von Königgrätz zwischen der österreichischen und preußischen Armee. Verletzt überlebt er, fortan fehlt ihm jedoch ein Teil von Wange und Kinn.

Der junge Mann lernt zu leben mit dem, was nicht mehr da ist. Er stellt sich Spott und Ablehnung, erlernt den Beruf des Kunstschmieds und stärkt sich an seinem handwerklichen und kaufmännischen Geschick. Halt findet er in der Musik – er hat zum Cello gewechselt – und bei Valerie, seiner Liebe, die ihm zunächst unerreichbar scheint. Mit großem Gespür für ihre Figuren erzählt Brita Steinwendtner in diesem atmosphärisch dichten Roman das zeitlose Schicksal eines Mannes, dem es gelingt, den widrigen Zeitläuften die Stirn zu bieten und seine pazifistische Haltung zu wahren.

„Gesicht im blinden Spiegel“ entwirft das weit gespannte Panorama einer fesselnden Familien- und Zeitgeschichte über mehrere Jahrzehnte und führt in unterschiedliche Landschaften – vom „Böhmischen Paradies“ über das Sensengebiet des österreichischen Steyr-Tals bis in das „weiße Haus“ von Venedig. Es ist eine vielstimmig erzählte Geschichte von Krieg und trügerischem Frieden, neuen Lebensentwürfen in der Fremde und vom Heimkommen. Ein Roman über die Liebe und die Wiederkehr des Sommers.

Peter Reutterer

Rezension von Peter Reutterer

Der Klang, der Hoffnung trägt

Ein Fest ist das neue Buch von Brita Steinwendter, ein Fest klingender Sprache für die Hoffnung und den Mut zu leben. So könnte der Ort der Erstpräsentation, nämlich die große Aula gegenüber dem Festspielhaus, nicht besser gewählt sein. Bescheiden wie souverän hebt die Erzählung an, ein Ebenbild der Autorin, die längst seit ihrem Debut „Rote Lackn“ (1999) in der deutschen Literatur weit über die Landesgrenzen hinaus anerkannt ist. Man muss froh sein über diese literarische Stimme in Österreich, froh, dass Brita Steinwendtner nach ihrer langjährigen Tätigkeit als Kulturjournalistin beim ORF und ihrer 22 Jahre währenden Intendanz bei den Rauriser Literaturtagen sich an die eigene Schriftstellerei gewagt hat.

Der historische Ort, der Ausgangspunkt für diese Lebensgeschichte ist, Königgrätz, müsste mit seiner Schlacht 1866 zwischen Preußen und Österreich ausweglose Verzweiflung und Depression zeitigen. Und tatsächlich denkt dieser Johannes Czermak, der von Kriegsbegeisterung verblendet in den Krieg gezogen ist, nach der Zerstörung seines Gesichts in der Schlacht an Selbstmord. Noch nicht zwanzig, fehlen ihm ein Teil von Wange und Kinn. Gerettet wird er von einem Johanniter, als ein Mann im langen schwarzen Gewand schreitet dieser Ritter über die Höhenrücken von Chlum. Wie ein Engel tauchte er auf, um unter den tausenden Toten noch Lebende aufzuspüren. Er findet Johannes und bleibt ihm sein Leben lang als eine Art Schutzengel spürbar, selbst als er physisch nicht mehr präsent ist. Mit dieser Engelsgestalt entwickeln die Hügel von Chlum einen Traum der Errettung. Wir kennen dieses empathische Anliegen der Autorin, nämlich der poetischen Aura von Gegenden auf den Grund zu gehen, aus „Jeder Ort hat seinen Traum – Dichterlandschaften“ oder „Der Welt entlang – vom Zauber der Dichterlandschaften“. Etwas Transzendentes kommt mit diesem Johanniter in den Roman, er ist wie anderes auch im Verlauf dieses Erzählens „nicht ganz von dieser Welt“. Nicht zufällig ist ein tiefgründiger Satz von Christoph Ransmayr dem Roman vorangestellt: „Denn was ist, ist niemals alles.“ Menschliches tendiert zur Überschreitung seiner selbst.

Die Autorin vertraut Bildung und Kultur. Sie will „Einen retten vor dem Vergessen“. Und er wird nicht zuletzt durch Bildung und Kunst gerettet. Nach Neustadt an der Mettau zurückgekehrt, lernt er nicht nur das Handwerk des Kunstschmiedes – da kann er als Versehrter im Halbdunkel arbeiten- , er erlernt auch das Violoncello zu spielen. Worum geht es in der Musik: „Du musst die Seele herauslocken.“ Und so spielt Johannes, um sich „leben zu hören“, wie die Dichterin es auf den Punkt bringt. Da ist der Protagonist bereits auf gutem Weg, wirklich zu leben, wiederholt wird Paolo Sarpi zitiert: „Il fine dell‘ uomo…è vivere.“ Nebenher entwickelt Brita Steinwendtner mit den künstlerischen Ambitionen des jungen Mannes eine Kunst- und Kulturgeschichte der Jahre zwischen 1866 und 1916 in Mitteleuropa. Schon vor der Schlacht im Ordensgymnasium von Breslau als Studierender, findet Johannes nun im Benediktiner Korbinian einen Begleiter, der zur Weiterbildung ermutigt. „Menschen tragen die Fähigkeit zur Vervollkommnung in sich.“ Mit bewundernswertem Sinn für das Wesentliche breitet die Autorin Pretiosen der Kunst- und Kulturgeschichte aus diesen Jahrzehnten aus. Wie aus einem Füllhorn schüttet Brita Steinwendtner Anmerkungen und Kommentare u.a. zu Stifter, Sutner, Eschenbach, Smetana, Schubert, Strauß, Kraus, Freud, Hauptmann und Trakl aus.

Mit Ausführungen zu Tintoretto nimmt die Liebesgeschichte des Romanes Fahrt auf. Im Préludes vier – Steinwendtner gliedert den Roman durch fünf „Vorspiele“- ist die Rede von einer „gemeinschaftlichen Pilgerreise aus dem Leid“. Valerie ist für viele Jahre als Frau des Bruders nur Objekt der Sehnsucht und des unerfüllten Begehrens, Johannes aber immer sehr zugetan, nicht zuletzt wegen seiner Sprache, die er sich erarbeitet hat, sie ist ihr „ein Silbervogel“. Erst nach dem Tod des Bruders und in der Hoffnung auf eine gemeinsame Zukunft -vielleicht in Venedig- wird sie ihm auch Lebensgefährtin. Sie nimmt ihn zu sich eines Nachts, sie fordert ihn an diesem Punkt der lang ersehnten Vereinigung auf, den „Bart“ (eine Kieferprothese, die ihm ein Freund gefertigt hatte) als „falsches Gesicht“ abzunehmen. Sie liebt genau das Individuum, das ihr versehrt, aber zu friedvollem, produktivem Leben entschlossen, entgegengetreten ist. Sie ist „die eine, die er meinte“. „Gemeinschaftlich“ heißt zudem: Der Roman ist Familiengeschichte in vielfältiger Weise. V.a. die Brüder sind da zu nennen, Karel der tschechisch-nationale Revolutionär, Franz der kaisertreue Beamte. Erwähnenswert in diesem Geflecht vielleicht unter den vielen und vielfältigen Figuren eine andere bedeutsame Frau im Leben von Johannes, die naturwissenschaftlich begabte Clara Immerwahr. Sie repräsentiert wie auch die anderen Figuren eine bestimmte soziale Strömung, in diesem Fall die unterdrückte Bestrebung, als Frau an der Universität Karriere zu machen. Nur ein Beispiel für die zahlreichen sozialgeschichtlichen Ausführungen im Verlauf des Romans.

Aus tiefstem Herzen ist der Roman Anti-Kriegs-Literatur. Bereits zu Beginn wird die historische wie menschliche Sinnlosigkeit des Krieges festgeschrieben: „Verbrecherisch sinnlos die Toten, Verwundeten, Elenden auf beiden Seiten.“ Krieg bleibt Schuld und macht die Mitwirkenden zu Schuldigen. Am Ende verweigert Johannes sich dem neuen Krieg 1914, er ist nicht gewillt die Sensen-Frabrik auf die Produktion für Waffen-Ersatzteile umzurüsten, er kehrt dem bislang guten Arbeitsplatz (Sensen stehen für die friedliche Arbeit des Mähens) den Rücken. Und ganz am Ende steht das Plädoyer für die Hoffnung (Esparanza wird im letzten Teil des Romans als Kind personifiziert), die auf dem Widerstand des Individuums basiert und in die Liebe mündet. „…die Frau trägt ein langes Kleid in Ultramarin, der Mann ein versehrtes Gesicht, und es scheint, dass das Paar nicht mit er Karawane gezogen, sondern dem Tänzer des Widerstandes gefolgt ist.“

So beeindruckend das Historische präzise recherchiert und vermittelt wird, so überwältigend nimmt einen der emotionale Impetus der Erzählung mit sich. Ohne Mühe und sehr gern habe ich den Roman in einem durchgelesen. Der Impuls zu diesem Opus magnum ist wohl auch biographisch begründet, Brita Steinwendtner hat ihren Vater, der an der oberen Wolga im zweiten Krieg zu Tode gekommen ist und dort in der Erde liegt, nie gesehen. Ja, in vielerlei Hinsicht ist dieses Buch ein großes Buch, es glänzt vor Rhythmus, Bildung und Erzählfreude, wechselt zwischen Lyrischem und Epischem wie Essayistischem. Belletristik in ihrem eigentlichen Sinn, punktgenau und klangvoll der literarische Ton, Hintergründe allein durch die sprachliche Prägnanz eröffnend, einfach ein Fest der schönen Literatur. Ein Aufbegehren gegen die Verflachung der Bildung, gegen die Geist- und Seelenlosigkeit vieler heutiger Entwicklungen in der Gesellschaft. Nicht zuletzt zur Freude der Festspiel-Freunde am 26.8. 2020 in der großen Aula zur Festspielzeit. Am 23.9. präsentiert die Autorin das neue Werk im Salzburger Literaturhaus.

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