Chris Ploier: Auf nach Surgijul

Fremde Galaxien

Fremde Galaxien | Astrofotografien (5) von Hermann Hermeter, Oberndorf

Ich liebte es, mich auf Schiene zu begeben. Gerne auch mit Regionalzügen, fern der großen
Reiserouten. Zugreisen waren mein Anti-Auto-Programm.

Im ersten Frühling des Jahres fuhr ich von München nach Dresden. Der Zug war nicht voll. Zunächst saß ich alleine im Abteil. Kurz vor der Abfahrt kam ein jüngerer Mann. Er setzte sich mit den Worten: „Für mich ist eine Reise mit dem Zug ein großes Abenteuer.“ Ich lächelte. Eine Übertreibung, doch sie gefiel mir und er fragte: „Und Sie? Lieben Sie Zugreisen?“ Ich konnte ihm nur beipflichten. „Ja, es hat was. Zeit für sich, kein Stress.“ Er setzte sich mir gegenüber. Für sein Alter wirkte er sehr ungelenkig. „Womöglich durch eine Behinderung“, dachte ich.

Ich stellte meinen Rucksack auf die Ablage. Da ich gut fünf Stunden unterwegs sein würde, hatte ich vorgesorgt. Eine kleine Jause. Nichts Aufregendes, aber ausreichend. Mein Gegenüber hatte kein Gepäck. Kein Koffer, keine Tasche. Gar nichts. Der Zug fuhr bereits aus dem Bahnhofsgelände. Die bunten Hausreihen und die Vielfalt dessen, was ich zu sehen bekam, fesselten mich jedes Mal. „Faszinierend!“, sagte er. „Wissen Sie, es ist aufregender, als quer durch die Milchstraße zu reisen.“ Ich musste lachen. Was er sagte, klang irgendwie ulkig. Ich schätzte, dass er Österreicher sein musste. „Kommen Sie aus Wien?“, fragte ich ihn. Jetzt lachte er. „Nein ich komme aus Surgijul. Aber in Wien bin ich mehrmals gewesen. Und Sie?“ „Ich komme aus Hamburg und fahre beruflich nach Dresden.“

Es entstand eine kleine Pause. Ich überlegte, ob ich eine Unterhaltung anfangen sollte, oder einfach nur die Zugreise genießen. „Ich reise auch beruflich“, hörte ich mein Gegenüber sagen. „Mein Name ist Suvu und ich reise für die Karma-Foundation.“ „Oh, angenehm. Ich heiße Gert und ich bin in eigener Sache unterwegs. Ich bin Alleinunterhalter, also Musiker und reise zu einer Hochzeitsfeier. Ihr Name ist Suvu. Richtig?“ Er nickte. „Was ist Ihre Aufgabe, Suvu?“ Ich konnte mir unter Karma-Foundation nichts vorstellen.

„Oh, das ist kein Geheimnis Gört. Ich hole verdiente Persönlichkeiten der Erde als Belohnung in unsere Dimension.“ Ich starrte ihn an. Ich verstand kein Wort. „Sie holen Leute in eine Dimension? Arbeiten sie für eine Art Wohltätigkeitsverein?“ Er nickte. Ihm schien das Sitzen nicht so leicht zu fallen, da er sich ständig entkrampfen musste und immer wieder seine Haltung veränderte. „Sitzen Sie nicht gut?“ „Halb so wild. Ich bin nur Körper dieser Art nicht gewohnt. Ich gebrauche sie nur für Dienstreisen. Und Gört, was genau machen Sie bei einer Hochzeit?“ „Ich bin für das Musikalische der Hochzeit verantwortlich. Vom Feierlichen bis zur Party. Ich spiele noch die klassische Hammond Orgel und singe dazu.“ Unsere Unterhaltung geriet ins Stocken. Ich fragte mich, ob mit Suvu alles klar war? Witzelte er? Oder war er nicht ganz dicht? Wovon redete er?

„Gört, wollen Sie wissen, wer diesmal vom Konsortium ausgewählt wurde? Die Wahl fiel auf Angela Merkel!“ Er lächelte mich freudig an und nickte mehrmals. „Das hätte niemand gedacht.“ Ich wurde zunehmend fassungsloser. „Wofür ausgewählt?“ Ich begann an der Unterlippe zu nagen. „Gört, Angela Merkel wird mit mir in unsere Heimatdimension reisen. Sie ist auserwählt in Surgijul ihren Lebensabend zu verbringen.“ Soweit ich wusste, reiste die Merkel jedes Jahr nach Gomera. Wovon redete diese merkwürdige Erscheinung. Ich fragte ihn: „Und wo liegt das? Wo ist dieses Surgijul?“ „Für Sie, Gört, besser für alle Menschen, völlig im Abseits. Unbekannt. Der östliche Teil der Milchstraße, grob gesagt.“ In diesem Augenblick war es mir klar. Suvu, der Mann, der mir gegenüber saß, hatte eine Vollmeise.

„Und wie reist man soweit? Sind Sie mit dem Zug gekommen, Suvu? Oder doch mit dem Raumschiff.“ Ich wußte nicht, ob er die Ironie meiner Worte spüren konnte. Er saß völlig verquer da und atmete schwer. „Raumschiffe!“, schrie er. „Ich weiß, dass dies auf der Erde geglaubt wird. Doch wir reisen nicht durch den Raum, wir reisen durch das All. Und da reist man mit Pillen Gört.“ Als ich loszuwiehern begann, bemerkte er meine Heiterkeit und meinen ungläubigen Blick. „Alle in unserer Dimension reisen mit Pillen. Und unsere Ehrengäste auch. Das ist mein voller Ernst. Niemand reist mit Raumschiffen. Das ist Erdenphantasie.“

Ich dachte an Alfred, einen Musikerfreund. Hatte er LSD geschluckt, redete er ähnlich fragwürdiges Zeug. Ich überlegte, ob ich das Abteil wechseln sollte. Bis Dresden war es noch ein Stück. „Und Angela Merkel?“, fragte ich beiläufig, „der klopfen Sie auf die Schulter und stecken ihr einfach ein Pillchen in den Mund. Wartet die schon auf Sie?“ Er wackelte verneinend mit dem Kopf. „Unsere Ehrengäste reagieren auf den ersten Kontakt unterschiedlich. Mozart zum Beispiel war hoch erfreut. Er spülte die Reisepille mit Wein hinunter. Leonardo da Vinci sang bei der Abreise. Einstein wollte perdu nicht einsteigen. Ich musste ihn betäuben. Das erste Treffen ist manchmal eine kleine Herausforderung. Aber selten ein harter Job. Das können Sie mir glauben, Gört.“

„Ach ja. Leonardo! Mozart! Sie machen Ihren Job schon länger? Er sah mich verständnislos an. „Wie meinen Sie? Ach ja, Sie rechnen ja noch in Zeit. Du meine Güte. Obwohl unsere Welten sehr ähnlich sind, gibt es Unterschiede Gört. Das ist für mich immer eine kleine Herausforderung. Sie sollten aber wissen, dass es in Surgijul keine Zeit gibt.“

Warum wunderte mich das jetzt nicht. Ich wollte schon aufstehen und meinen Rucksack nehmen, doch dann stutzte ich. Was geschah, wenn dieser Verrückte wirklich in die Nähe der ehemaligen deutschen Bundeskanzlerin kam. War er gefährlich? „Woher wissen Sie das Frau Merkel in Dresden ist?“ „Das eruieren unsere DimensionskoordinatorInnen.“ Er fischte einen Zettel aus seinem grünen Samtsakko. „Schloß Wackerbarth in Radebeulen“, las er. „Weiß Sie von Ihrem Kommen?“ „Nö. Glaube ich nicht. Weiß selten wer. Timothy Leary hatte es gewusst. Naja, eher geahnt. Kannten Sie ihn?“ Ich schüttelte vage den Kopf.

„Und Sie haben eine Pille für Frau Merkel eingesteckt? Brauchen Sie selbst für die Rückreise keine mehr?“ Jetzt schüttelte er den Kopf. „Ich reise mit einer Komfortpille der Luxusklasse.“ „Noch etwas. Wieso sprechen Sie so perfekt meine Sprache?“ Sein Gesicht wurde zu einem einzigen Lächeln. „Auf Surgijul sprechen alle deutsch, seit Goethe bei uns heimisch geworden ist!“ „Dann werden Sie dank Mozart auch die Zauberflöte trällern“, feixte ich. „Übrigens ich heiße Gert, nicht Gört.“ Er blickte mich verdutzt an. „Sie könnten ja mich auswählen, Suvu. Kennen Sie den Hit „Mamor, Stein und Eisen bricht? Kann ich spielen. Andere Songs auch.“ Jetzt blickte er mich ernst an. „Drafi Deutscher wurde zweimal abgelehnt und ob Sie auf einer der Listen sind?…. da bin ich überfragt. Wollen Sie die Reisepille sehen?“ Er holte ungefragt eine Zündholzschachtel aus der Rocktasche und öffnete sie. Soweit ich sehen konnte lag ein Aspirin darin. „Jede Reisetablette wird individuell gefertigt. Dadurch reisen unsere Ehrengäste höchst komfortabel“, hörte ich ihn sagen. „Es sieht wie ein Aspirin aus“, konterte ich. „Hören Sie mal Suvu, Sie erzählen mir da reinen Blödsinn. Sie binden mir einen Bären auf. Ich bin ein humorvoller Mensch und lass mich ja gerne mal veräppeln, aber langsam reicht es.“ „Jede Reisepille ist getarnt“, antwortete er mit leichter Empörung. Kurzerhand nahm ich das Aspirin aus der Zündholzschachtel und hielt sie in die Höhe. Entgeistert raffte er sich vom Sitz auf. „Geben Sie mir sofort die Reisepille für Frau Merkel“, schrie er mich lauthals an.

„Hören Sie Suvu, es gibt kein Surgijul, oder eine Irgendwodimension. Der Spaß ist hier zu Ende und ich werde das Abteil wechseln. Ich will meine kleine Reise in Ruhe genießen.“ Ich hatte genug von dieser Unterhaltung. Doch er fasste nach meinem Arm und schrie: „Geben Sie mir die Pille.“ Ich war so erschrocken, dass es aus heiterem Himmel zu einem Handgemenge kam. Kurzum, er hatte mich soweit. Ich war wütend und zum Trotz schluckte ich vor seinen Augen das Aspirin. „Sehen sie, ein Aspirin, sonst nichts.“ Suvu war außer Rand und Band. „Sie sind nicht vorgesehen für Surgijul“, schrie er verzweifelt und fasste nach meinem Mund. Doch dann, mit einem Mal, wurde es ringsum still. Ich blickte in die Sternenwelt und drehte mich im Kreis. Das Universum leuchtete und der Sphärengesang durchdrang mich. Ich wurde Atem und Licht. So kam ich völlig beglückt in Surgijul an und ich musste Suvu Recht geben: Surgijul glich auf eine gewisse Art der Erde und man sprach Deutsch.

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