FRAUENleben. Das Buch

Sabine | Foto: Rochus Gratzfeld

Sabine | Foto: Sabine Kristmann-Groß

Ein Bildband über Frauen und ihre Körper. Übers FrauSEIN und übers ÄlterWERDEN. Ein Buch über FRAUENleben.

33 intime schwarz/weiß Akte bzw. Halbakte von Frauen, geboren zwischen 1945 und 1992, und 33 Aussagen der fotografierten Frauen über ihr Frausein, ihr Älterwerden und ihren Körper. Wie er sich ändert. Wie sich der Blick auf ihn wandelt. Wie es sich in ihm lebt. Aktportraits ohne Wertung. Texte, die berühren. Eine Feier der Körperlichkeit in jedem Alter. Ein Buch, das Frauen stärkt.

Rochus Gratzfeld

Von Rochus Gratzfeld,
Sarród & Salzburg

Nun soll unsere Arbeit von mehr als drei Jahren mit einem Buch belohnt werden. Die Arbeit der FotografInnen. Die der Frauen, die mitgemacht haben.

Worum geht es in dem Projekt?

Frauenkörper jeden Alters so zu zeigen, wie sie sind. Pur, ohne Photoshop, ohne Wertung. “Meine Körperin ist ein Schlachtfeld des Patriarchats“, sagt eine der fotografierten Frauen und bringt damit auf den Punkt, wie sehr Frauen oft ein Leben lang mit ihrem Körper ringen. “Verändert sich dieses Ringen mit dem Älterwerden?“, haben wir uns gefragt und Frauen, geboren zwischen 1945 und 1992 eingeladen, sich für eine Aktfotografie selbst zu inszenieren und uns ihre Gedanken mitzuteilen zu den Schlagwörtern Frausein, Körperlichkeit, Älterwerden. Das Ergebnis sind intime Bilder sowie Geschichten voller Kraft und Mut. Berührend. Authentisch. Mutmachend.

Älterwerden. Altern. Ab der ersten Lebenssekunde. Vom Anfang zum Ende, von Geburt bis zum Tod. Dazwischen: Das Leben. Ein FRAUENleben.

„Als mir mein Mann erzählte, dass er Frauen jeden Alters fotografieren möchte, als Akt oder Teilakt, und die fotografierten Frauen bitten wollte, schriftlich ihre Gedanken zu den Schlagworten Frau-sein, Körperlichkeit, Älterwerden zu formulieren, war ich skeptisch. Die Feministin in mir rief: „Muss das denn sein? Geht es nicht auch ohne nackte Haut, wenigstens beim Thema Älterwerden?“ Aber ich schwieg und begab mich in die Position der Beobachterin. Warum?

Ich ging heimlich davon aus, dass er für dieses Projekt ohnehin kaum Protagonistinnen gewinnen würde. Welche Frau würde sich schon mit Hängebusen und Post-Menopause-Bauch zeigen? Junge mit frischen schönen Körpern würden sich am Projekt beteiligen. Wahrscheinlich. Aber ältere oder gar alte Frauen? Kaum. Ich ging davon aus, die Sache würde sich von selbst erledigen.

Zwei Jahre später liegen vor mir 30 Akte/ Teilakte von Frauen, geboren zwischen 1945 und 1992, dazu ihre Texte, Gedankensplitter und Geschichten.

Kerstin

Kerstin | Foto: Kerstin Kuntze

Ich staune und bin berührt. Wieviel Intimität in diesem Projekt entstanden ist. Wieviel Kraft und gleichzeitig auch Verletzlichkeit sichtbar ist. Wie offen und persönlich die Frauen ihre Gedanken preisgeben. Wie unverstellt sie sich auf den Fotos zeigen, alle unbearbeitet, von den Frauen selbst nach dem Shooting ausgewählt und für das Projekt freigegeben.

Ich denke an die vielen Schritte, die diese Frauen in dem Projekt gehen mussten. Für die meisten war es das erste Mal, dass sie sich nackt fotografieren ließen. Als Ehefrau des Fotografen kenne ich die inneren Grenzen, die man als Frau während und nach einem Aktshooting durchläuft.

Am Anfang steht die Überwindung der gelernten Scham, seine Nacktheit zu zeigen. Dann muss die Frau ihre innere Hürde und Steifheit hinter sich lassen, vor der Kamera posieren, sich selbst in Szene setzen. Für viele Frauen ist dieser Moment ein fast therapeutisches Erlebnis, oft auch ein befreiendes. Danach der erste Blick auf die zugesandten Fotos, der Blick auf den eigenen Körper. Unretouchiert, pur.

War dieser Blick liebevoll oder war er kritisch? Was nahm die Frau von sich selbst zuerst wahr, ihre Schönheit oder den vermeintlichen Makel? Aus eigener Erfahrung weiß ich, der erste Blick fällt auf den Makel, auf jene Körperstellen, die die Frau an sich ablehnt, mit denen sie, oft schon ein ganzes Leben, kämpft. Hundertfach werden die Fotos danach in die Hand genommen, hin und her gewendet. Inneres Ringen. Manchmal Versöhnung. Zuletzt die Auswahl des Fotos und der Schritt, dieses Foto tatsächlich freizugeben, die Rechte an diesem einen Foto abzutreten für eine Ausstellung und ein Buch. Die Entscheidung, sich der Welt zu zeigen. Nackt. Fast nackt. Mit Lebensspuren. Verletzlich.

Und dann der Auftrag, persönliche Gedanken zu verfassen zu Frau-sein. Körperlichkeit. Älterwerden. Begriffe wie Pflöcke, die das Leben abstecken. Manche Frauen schreiben nur wenige Sätze, andere legen sich und ihr Leben offen.

Lebensspuren. In Bild und Wort.
„Vielleicht ist die Scham doch vorbei?“ geht mir beim Betrachten zuerst durch den Kopf und in mir breitet sich ein Jubeln aus. Ich erinnere mich an die vielen Frauen und ihre Körperscham im hohen Alter, denen ich begegnet bin. 34 Jahre lang habe als Altenpflegerin diese Scham gesehen, habe ich von alten Frauen Sätze gehört wie: „Schauen Sie mich nicht so genau an, Schwester. Ein alter Körper ist nicht schön.“ Jedes Mal war ich tief betroffen. Hier nun Fotos von jungen, wie älteren und auch alte Frauen. Ich sehe Stolz, Lächeln, Jubeln, Entspanntheit, hie und da auch Provokation, Leichtigkeit, Lebendigkeit. Keine Scham. Ich betrachte. Lese. Entdecke rote Fäden quer durch die biografischen Texte.

Das Thema Schönheit. Einer der langen roten Fäden dieses Projektes. In vielen der formulierten Gedanken berichten die Frauen von Selbstzweifeln und Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper. Vom Körper als Schlachtfeld. Von Krieg gegen sich selbst. In der eigenen Haut nie wohlfühlt, sich als Frau nie schön genug gefühlt, nie geborgen im eigenen Körper. Ein halbes Frauenleben lang.

Wieviel Lebensenergie dieser tradierte negative Blick auf den eigenen Körper bindet, geht mir durch den Kopf, und die Frage: Welches Lebensgefühl hätten Frauen, würden sie von Kindheit an ihre Schönheit sehen, ihre innere wie äußere Schönheit? Wie viel Selbstbewusstsein, Kraft und Energie hätten sie für ihr Leben zur Verfügung. Doch da ist Hoffnung. Vielleicht.

Die jüngeren Frauen scheinen selbstbewusster. Sie fühlen sich wohl in ihrer Haut, lese ich und orte eine liebevollere Sicht auf den eigenen Körper. Haben wir Frauen uns doch weiterentwickelt? Werden Mädchen heute in ihren So-Sein endlich gestärkt und positiv geprägt? Hat tatsächlich ein Wandel stattgefunden?
Hoffnung!

Oder lese ich zwischen den Zeilen, versteckt hinter dem Begriff Lebensstil, etwas zu viel von Selbstoptimierung?

Bleibt am Ende doch wieder alles beim Alten?
Ein weiterer roter Faden. Mit fortschreitendem Leben verändert sich der Zugang zu sich und zum eigenen Körper. Viele Frauen erzählen, dass sie mit den Jahren immer mehr bei sich selbst angekommen sind, den eigenen Körper in Besitz genommen haben, sich der eigenen Körperlichkeit bewusster geworden sind und Frieden geschlossen haben. Mit sich. Mit ihrem Körper.

Schwangerschaft, Geburt und Mutterschaft lassen Frauen staunen über ihren Körper, sie berichten von der Verwunderung darüber, was ihr Körper zu leisten vermochte, was er hervorgebracht hat, wie das Ereignis der Mutterschaft sie und ihren Blick auf den Körper nachhaltig verändert hat. Wie diese bedingungslose Liebe des Kindes, das Leben und die kritische Sicht auf den eigenen Körper verändert. Das Wort „Befreiung“ fällt.

Auch kritische und dunkle Lebensphasen -wie etwa eine schmerzhafte Suche nach sich selbst, ein sich Verlieren in Rausch und Drogen, eine chronische Erkrankung, eine Krebserkrankung -lassen den eigenen Körper und das Leben an sich in neuem Licht erscheinen. „Jede Narbe hat mich stärker gemacht und mich in meinem Leben ein Stück weitergebracht“, bringt eine Frau ihre Erfahrung auf den Punkt.
Ist vielleicht die Versöhnung mit sich selbst, mit dem eigenen Körper, eine der großen Entwicklungsaufgaben von Frauen, frage ich mich. Führt das Älterwerden Frauen zu mehr Eigenliebe und mehr Selbstliebe? Zu mehr Freiheit?

Das Älterwerden. Ich lese von Angst und Zwiespalt. Und auch von Zuversicht.
Angst vor Schmerzen und körperlichen Veränderungen, wie etwa das Welken der Haut, das Verlorengehen von Fähigkeiten. Angst dabei, Würde zu verlieren. Groß auch die Sorge um die Begrenzung der Lebenszeit und mit ihr die Frage: Geht sich noch alles aus im Leben? „Altern? Scheiße!“ ruft die älteste Teilnehmerin des Projektes.

Zwischen den Zeilen findet sich an einigen Stellen aber auch ein wenig Aufbegehren, ein spürbares Durchdrücken des Rückens, ein Erheben des Hauptes.

Ich entdecke viel inneres Wissen über Wege zu einem guten Altern. Gelassenheit gegenüber den Veränderungen wird genannt, sich selbst liebevoll zu begegnen, eine Art Hingabe ans Leben und Älterwerden. Statt um die Würde im Alter zu ringen, möchte eine Frau „authentisch und ein wenig trotzig“ älter werden. „Ich bin ich!“ ruft eine andere Frau und man spürt beim Lesen förmlich das Aufstampfen des Fußes. Wieder eine andere ist überzeugt davon, auch mit 103 noch ihrer Leidenschaft zu frönen, dem Schwimmen.

Das Älterwerden als positives Kontinuum. Auch davon ist zu lesen. Endlich bei sich selbst anzukommen, sich nicht mehr mit anderen zu messen, sich selbst zu leben, endlich die Fähigkeit zu besitzen, Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden. Freieres, offeneres persönliches Denken.
Was für ein Einblick in die Welt und das Leben von Frauen.

Intim. Tiefgründig. Vielfältig. Kraftvoll.
Mut machend.
Die Feministin in mir jubelt.“

(Sonja Schiff)

Unterstützungen für das Projekt bitte hier:
FRAUENleben | FRAUENleben. Ein Bildband über Frauen und ihre Körper. Übers FrauSEIN und übers ÄlterWERDEN. Ein Buch über FRAUENleben. (startnext.com)

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1 Kommentar zu "FRAUENleben. Das Buch"

  1. Rochus Gratzfeld Rochus Gratzfeld | 22. November 2023 um 18:30 |

    Es war ein großes Stück Arbeit, bis dieses Projekt druckreif war.
    Nun muss die Finanzierung gesichert werden.
    Wir, dass sind 4 FotografInnen, eine Autorin und ich als Mitmacher & Initiator, dass sind vor allem 33 Frauen als Protagonistinnen.
    Jede noch so kleine Unterstützung wird dankbar entgegengenommen.

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