Stefan Zweigs einziger zu seinen Lebzeiten veröffentlichter Roman ist bereits drei Mal verfilmt worden. Die Theaterfassung des Schriftstellers, Theaterautors und Regisseurs Thomas Jonigk wurde 2015 am Landestheater Niederösterreich uraufgeführt. Am Schauspielhaus Salzburg feierte das Kammerspiel in der Regie des Salzburgers Rudolf Frey am 22. März 2017 Premiere.
Zu Beginn gibt es Szenenapplaus für das mit spöttisch lächelnder Miene vorgetragene bitterböse Krüppellied „Krüppel ham so was Rührendes“ von Helmut Qualtinger. Dann vertiefen sich die Schauspieler in die Romanvorlage und das psychologische Drama kann beginnen. Es ist Mai 1914 und Leutnant Anton Hofmiller fadisiert sich in der Garnison. Die Einladung auf das Schloss des ungarischen Magnaten Lajos von Kekesfalva kommt da wie gerufen. Aus Unwissenheit fordert er Edith, die gelähmte Tochter des Gastgebers, zum Tanze auf. Um sich für diesen Fauxpas zu entschuldigen, schickt er tags darauf einen Strauß Blumen aufs Schloss. Bald schon besucht er das Mädchen täglich, doch wird sein Mitleid missverstanden und mit echter Zuneigung verwechselt. Er ist sich zwar bewusst, dass man „diesen Wahn“ abstellen müsste, doch der „Narr des Mitleids“ ist zu feige und schafft es nicht. Als Edith erfährt, dass sich der Herr Leutnant ihrer schämt, kann sie das nicht verkraften. Anton Hofmiller muss mit dem Bewusstsein weiterleben, dass „keine Schuld vergessen ist, solange noch das Gewissen um sie weiß“.
Der feige Rittmeister (stark Matthias Hinz) genießt aus naiver Gefallsucht die Aufmerksamkeiten, die ihm in dem feinen Hause zuteilwerden, denn der besorgte Vater (Olaf Salzer), der überhebliche Arzt (Theo Helm) und die fröhliche Cousine Ilona (Alexandra Sagurna) sehen durch seine Besuche Ediths psychische Kräfte wachsen. Er jedoch empfindet für „dieses Halbwesen“, „dieses unfertige Geschöpf“ nur Ekel, glaubt aber, dass sein Mitleid wie Morphium wirke.
Stefan Zweig unterscheidet im Vorwort zu seinem Roman zwei Arten von Mitleid: „Es gibt eben zweierlei Mitleid. Das eine, das schwachmütige und sentimentale, das eigentlich nur Ungeduld des Herzens ist, sich möglichst schnell freizumachen von der peinlichen Ergriffenheit vor einem fremden Unglück, jenes Mitleid, das gar nicht Mit-leiden ist, sondern nur instinktive Abwehr des fremden Leidens von der eigenen Seele. Und das andere, das einzig zählt – das unsentimentale, aber schöpferische Mitleid, das weiß, was es will, und entschlossen ist, geduldig und mitduldend alles durchzustehen bis zum Letzten seiner Kraft und noch über dies Letzte hinaus.“
Kristina Kahlert überzeugt in der Rolle der gelähmten, schnippischen und launischen Edith mit erschreckend realistischen Wutausbrüchen. Auf einen Rollstuhl hat die Regie verzichtet und so wuchtet sie sich mittels eines Hockers mitleiderregend, doch kraftvoll über die Bühne. Christiane Warnecke nimmt dem Stück als hellsehende, ironische Kommentatorin Frau Engelmayer jegliche Rührseligkeit. Auf der Bühne hat Vincent Mesnaritsch ein kunstvolles Trümmerfeld aus zerbrochenem Holz gestaltet, eine kleine Glasvitrine verbirgt die zerronnenen Träume des lahmen Mädchens und dient als multifunktionaler Rückzugsort.
Rudolf Frey hat das psychische Kammerspiel körperbetont und leicht grotesk in Szene gesetzt. Die vielen Berührungen wirken gekünstelt, eben die „instinktive Abwehr des fremden Leidens von der eigenen Seele“, wobei wir wieder bei Stefan Zweigs grandioser Textvorlage gelandet wären.
„Ungeduld des Herzens“ Thomas Jonigk nach dem Roman von Stefan Zweig. Regie: Rudolf Frey. Bühne: Vincent Mesnaritsch. Kostüme: Elke Gattinger. Musik: Fabio Buccafusco. Mit: Matthias Hinz, Olaf Salzer, Kristina Kahlert, Alexandra Sagurna, Theo Helm, Christiane Warnecke. Fotos: Jan Friese
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