Euthanasieopfer Therese Mühlberger

Stolperstein

Stolperstein Therese Mühlberger | Foto: Lena Platzer

Der Stolperstein in Reit im Winkl

„Sie haben sie schlecht gemacht und diese kranken Menschen gar nicht mehr als die schutzbedürftigen Wesen gesehen, für die sie sorgen sollten,“ erzählt Helene Leitner über das tragische Schicksal ihrer Großmutter.

Von Lena Platzer

Reit im Winkl- ein idyllisches Dörfchen im Herzen der bayrischen Alpen. Ein wenig abseits des Dorfzentrums schimmert ein kleiner messingfarbener Stein am Gehsteig, dahinter verbirgt sich die bewegende Geschichte von Therese Mühlberger.

„In der Familie war bereits bekannt, dass meine Großmutter krank war beziehungsweise in einer Anstalt war und dass sie früh gestorben ist. Mehr wurde aber nie darüber erzählt“, berichtet Helene Leitner, Enkelin der ermordeten Therese Mühlberger.

In der Schule erfährt sie von den Krankenmorden der Nazis und spielt mit dem Gedanken, ob diese in Zusammenhang mit dem Schicksal ihrer Großmutter stehen könnten. Bei einer Gedenkveranstaltung in München erhält Leitner Kontakt zu einer Gruppe Historiker*innen, durch deren Hilfe sie innerhalb von zwei Monaten, an die Krankenakten ihrer Großmutter gelangt. Am Ende der Recherche wird klar, ihre Großmutter war Opfer der T4- Aktion, dem systematischen Massenmord an mehr als 70.000 Menschen mit körperlichen, geistigen und seelischen Behinderungen in Deutschland. Der Name der „Aktion T4“ leitet sich von der „Tiergartenstraße 4“ in Berlin ab, dem Namen der Straße in der die Aktion beschlossen wurde. Für ihre Massenmorde verwendeten die Nazis das Wort „Euthanasie“ welches aus dem altgriechischen übersetz so viel wie „schöner Tod“ bedeutet.

Therese Mühlberger im bayrischgen Dirndl

Therese Mühlberger im bayrischgen Dirndl | Foto: Helene Leitner

Therese Mühlberger wird 1898 in Reit im Winkl geboren. Im Alter von 14 Jahren wird sie Hausmädchen im Krankenhaus Reit im Winkl, zieht anschließend nach München und erhält dort als Mitglied der Schwesternschaft „Dritter Orden“ eine Krankenschwesterausbildung. 1922 verlässt sie den Orden ohne Abschied, kehrt zurück nach Reit im Winkl und ist dort als Hebamme tätig. 1932 wird sie erstmals verhaltensauffällig und wird daraufhin aus dem Dienst entlassen. „Zu diesem Zeitpunkt war Therese bereits hochgradig abgemagert und litt unter neurologischen Störungen“, erzählt Helene Leitner. Bald darauf wird sie in eine psychiatrische Klinik in München eingeliefert. Als sich herausstellt, dass ihre Erkrankung, die sich als Folge einer zurückliegenden Infektion entpuppte, nicht heilbar war, wird sie in die Pflegeanstalt Gabersee, in Wasserburg am Inn eingewiesen.

„Sie wurde dort alle drei Monate untersucht und dort schrieben sie Sätze wie, völlig verblödet, dement, sie ist unrein und solch vorwurfsvolle Dinge, wo man herauslesen kann, dass sich die Einstellung zu den Patienten geändert hat in der Zeit“, so Frau Leitner.

Ihr tragisches Lebensende findet Therese Mühlberger in Hartheim bei Linz, wo sie durch Vergasung, Opfer der T4- Aktion wird. Die Familie erhält lediglich einen Brief mit einer kurzen Information über ihr Ableben und anschließend eine Urne.

Nach Ende der Recherche ist für Helene Leitner klar, sie will einen Stolperstein für ihre Großmutter beantragen. Stolpersteine sind das Herzensprojekt des Kölner Künstlers Gunther Demnig, sie dienen dem Gedenken an Opfer des Nationalsozialismus. Bisher hat der 75 Jährige rund 95.000 Stolpersteine verlegt. „Ich wusste, dass sie als Opfer der T4- Aktion dazu berechtigt war einen Stolperstein zu erhalten”, so Leitner. Dieses Vorhaben stellte sich als langjähriger, aufwendiger Prozess heraus, doch mit Erfolg! Kurz vor dem erneuten Corona-Lockdown im September 2020 wird der Stolperstein von Demnig persönlich in Reit im Winkl verlegt. Bis heute erinnert er an die Geschichte von Therese Mühlberger und sorgt dafür, dass ihr Schicksal niemals in Vergessenheit gerät.

(Der Text von Lena Platzer über die von den Nazis ermordete Therese Mühlberger entstand im Zuge der Lehrveranstaltung Journalismus: Genres und Textgattungen an der Uni Salzburg/ Fachbereich Kommunikationswissenschaften im Sommersemester 2023.)

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