Im Schauspielhaus Salzburg entführt der junge österreichische Autor Ferdinand Schmalz (Jahrgang 1985) das Publikum an den „unromantischten Ort der Erde“, eine Autobahnraststätte. Anne Simon hat das Sprachkunstwerk als Horror-Thriller in Szene gesetzt. Bei der Premiere am 22.11.2015 gab es Gänsehaut und viel Applaus.

Von Elisabeth Pichler
So leicht passieren Unfälle: Ein Schmetterlingskadaver verschmiert die Windschutzscheibe, ein Lastwagen mit Dosenfleisch kippt um und schon ist es geschehen. Der schwer verletzte Lastwagenfahrer sucht Zuflucht in einer Autobahnraststätte. Hilfe ist hier jedoch nicht zu erwarten, denn die Besitzerin ist damit beschäftigt, eine nahe, unfallträchtige Todeskurve zu beobachten.
Auch ein perverser Versicherungsangestellter mit einem Faible für Wunden jeder Art wartet auf weitere Unfälle, denn er „muss den Spuren folgen, bevor sie verkrusten“. Fasziniert reagiert er auf eine ehemals gefeierte Jungschauspielerin, die nach einem Horrorunfall mit ihrem Sportcoupé untergetaucht ist und nun etwas „verdellt“ auf der Raststätte herumhängt. Die Kühltruhe hätte der junge Mann lieber nicht öffnen sollen, denn das verzeihen die beiden „Autobahn-Nomadinnen“ ihm nicht. ___STEADY_PAYWALL___

Marcus Marotte hat es als verunfallten Fernfahrer am schlimmsten erwischt. Mit seinem verunstalteten Gesicht wirkt er wie ein Zombie. Es stellt sich die Frage, ob sich hier nicht ein Untoter als philosophierender Erzähler aufspielt. Susanne Wende als schwer traumatisierte Raststättenbetreiberin wirkt emotionslos und eiskalt, doch hinter dieser Maske brodelt es. In der einstmals dem Rausch der Geschwindigkeit verfallenen Jayne (Alexandra Sagurna) hat sie eine willige Verbündete gefunden. Ihr gemeinsames Motto: „Wer bei uns einsteigt, der steigt aus“ sollte zu denken geben.

Am lebendigsten zwischen all den Untoten wirkt Moritz Grabbe, der Versicherungsmann mit dem eigenwilligen Hobby. Isabel Graf hat für die Horrorraststätte, in der „Titanic-Tango“ getanzt wird, mit rasselnden Kettenvorhängen und einem ölverschmierten Boden das passende Bühnenbild geschaffen.

Anne Simon setzt die sprachgewaltige Vorlage mit viel Feingefühl in Szene. Die Wortspiele, philosophischen Erörterungen und vor allem die vom Autor so geschätzten „fetten Metaphern“ fordern vom Publikum 70 Minuten lang erhöhte Aufmerksamkeit. Nachdenklich setzt man sich nach der Vorstellung ins Auto, mutiert man doch in dieser Blechbüchse laut dem Autor zu „Dosenfleisch“.
„Dosenfleisch“ von Ferdinand Schmalz. Regie: Anne Simon. Ausstattung: Isabel Graf. Mit: Susanne Wende, Alexandra Sagurna, Moritz Grabbe, Marcus Marotte. Eine Koproduktion mit dem Théâtre National du Luxembourg. Fotos: Gregor Hofstätter
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