In der ARGEkultur feierte am 21. Februar 2018 das sozialkritische Drama des bayrischen Regisseurs, Schriftstellers, Theaterautors und Schauspielers Franz Xaver Kroetz Premiere. In dem 1972 uraufgeführten Stück werden in der Inszenierung von Hildegard Starlinger durch Einspielungen aktueller TV- und Radiointerviews die gravierenden Risse in unserer Gesellschaft sichtbar.
Von Elisabeth Pichler
Heinz und Anni genießen eine Live-Show im Fernsehen und nagen dabei hingebungsvoll an ihren Maiskolben. Sie fragen sich, wo die Stars wohl nach der Vorstellung feiern? Vielleicht könnten sie sich auch einmal eine Reise in die Kaiserstadt Wien gönnen? Sie blättern gemeinsam in Werbebroschüren und träumen von einem Pool, auch wenn der nötige Garten fehlt. Am Ostersonntag fahren die beiden nach der Messe an den Starnberger See, wo sie sich mit einem einfachen Gulasch zufriedengeben. Das teure flambierte Essen wird am Nebentisch verzehrt. Obwohl es nach drei Jahren Ehe im Bett nicht immer klappt, wird Anni schwanger und das bringt nicht nur die Haushaltsfinanzen durcheinander. Heinz fühlt sich einfach noch nicht reif genug. Er könnte ja noch die Matura nachmachen und Ingenieur werden. Dann würde er sich vor das Kind hinstellen und sagen: „Das ist dein Vater. Schau, auf den kannst stolz sein, weil er etwas erreicht hat im Leben!“ Er versucht daher, Anni zu einer Abtreibung zu überreden, doch diese leistet Widerstand.
Anna Morawetz strahlt als Anni eine beneidenswerte Zufriedenheit aus. Sie hat einen Mann abgekriegt und wäre es nicht Heinz gewesen, hätte sie sicherlich auch einen anderen haben können. Dieser Pragmatismus stößt Heinz sauer auf. In dieser Rolle hat Wolfgang Kandler ständig mit seinem Selbstwertgefühl zu kämpfen. Seine geplatzten Träume von Wohlstand und schickem Auto machen ihm schwer zu schaffen und so sucht er immer öfter Trost im Alkohol.
Die kleinen Szenen zeigen völlig durchschnittliche, alltägliche Momente einer kleinbürgerlichen Ehe. Eine Tänzerin (Anna Adensamer) und ein Musiker (José Fernando Elias) verkörpern das von Konsum geprägte System und umkreisen weiß umhüllt das junge Ehepaar. Alois Ellmauer hat die Bühne des ARGE-Studios in eine Zweizimmerwohnung mit filigranen Wänden und aus Ziegeln gefertigten Möbeln verwandelt, die sich als ebenso instabil erweisen wie die Träume, Wünsche und Sehnsüchte der jungen Leute. In TV- und Radiointerviews kommen die unterschiedlichsten Menschen, vom Bankdirektor bis zur „Apropos“-Verkäuferin, zu Wort und sprechen über ihre Ängste und persönlichen Sorgen, wobei die Risse in unserer Gesellschaft deutlich werden.
Hildegard Starlingers Inszenierung macht deutlich, dass sich, trotz aller Fortschritte, seit den 70er Jahren nicht viel geändert hat. Ein inspirierender Theaterabend, der die aktuelle politische Problematik geschickt mit nostalgischen Elementen verbindet.
„Oberösterreich“ von Franz Xaver Kroetz. Regie und Produktion: Hildegard Starlinger. Regieassistenz: Anna Adensamer. Choreografische Assistenz: Hector Palacios & Stella Blanc, trak dance ensemble. Bühne: Alois Ellmauer. Kostüme: Elke Gattinger. Musik & Komposition: José Fernando Elias. Video & Audio: Markus Weisheitinger-Herrmann. Technik: Gunther Seiser. Mit: Anna Morawetz, Wolfgang Kandler. Tanz: Anna Adensamer. Fotos: ARGEkultur/ Michael Groessinger
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