Stell Dir vor, es ist Konzert und keiner geht hin

Jessie Davis

Die großartige Jessie Davis möge mir verzeihen, dass ich ihr Konzert im Emailwerk Seekirchen – übrigens das Auftaktkonzert ihrer Europa-Tour – als Anlass missbrauche, einmal aus Sicht eines Kulturveranstalters über das Publikum zu sprechen.

Leo Fellinger

Von Leo Fellinger

Doch vorweg noch ein paar Worte zum Konzert. Bereits zum zweiten Mal war Jessie vulgo „Nebraska“ hier zu Gast, das letzte Mal 2019. Musikalisch hat sich nichts verändert, noch immer bewegt sich die Musikerin mit dem verzaubernden Lachen zwischen Soul, R&B und jazzigen Einflüssen und verpackt Träume und Alltagsgeschichten zu lyrischen Balladen.

Neu ist ihr Wohnsitz, war es bis vor Kurzem New York City, ist es nun ein kleines Dorf in Mexiko. Natur hat bei ihr an Bedeutung gewonnen, das ist deutlich spürbar, wie viele andere Facetten ihrer Persönlichkeit. Sie erscheint auf der Bühne mit dem ganzen Glamour einer ikonischen Diva, versprüht Charme und Selbstvertrauen, aber auch eine neue Verwundbarkeit. Ihr eklektischer Sound ist, wenn sie mit Laptop, Mini-Keyboard und Loop Station arbeitet, elektronisch, drängend, intensiv und Pop im besten Sinne. Als Pianistin am Klavier aber schafft sie eine besondere Intimität und verzaubert die Menschen mit dem Charisma eines Fabelwesens.

So viel zum Konzertabend, alles wunderbar, das Publikum berührt und begeistert. Jene Menschen, die da waren. Und das waren nicht viele. Genau das möchte ich nun zum Anlass nehmen, einmal über die Motive des Publikums und die Hintergründe von Kommen und Nichtkommen zu sinnieren. Dazu kann ich die Erfahrungen einfließen lassen, die wir in unserem Kulturzentrum regelmäßig machen. Die leichte Übung zuerst: Es gibt einfach nachvollziehbare Motive, sich gegen einen Besuch einer Veranstaltung zu entscheiden.

Zum Beispiel das Wetter: Bei den ersten Wärmeeinbrüchen im April gehen die Besucherzahlen drastisch nach unten, zu sehr locken die ersten Sonnenstrahlen, die bis zum Abend genossen werden wollen. Dagegen ist man machtlos. Schenkt man einer aktuellen Studie des SORA Instituts (Kulturelle Beteiligung in Österreich 2023) Glauben, sind auch die Ticketpreise dafür verantwortlich. Auf die Frage „Was würde einen häufigeren Kulturbesuch begünstigen?“ antworten fast 70 % mit „Billigere Preise“.

Der nächste Grund ist ein typisch österreichischer: Was man nicht kennt, braucht man auch nicht. Da wird es dann schwer. Denn einer der Grundpfeiler unserer Kulturvermittlungsarbeit ist nun einmal, Künstler*innen auf die Bühne zu bringen, damit sie einer Öffentlichkeit vorgestellt und damit bekannter werden können. An diesem Konzertabend war dies deutlich zu erkennen. Da hilft es auch nicht, auf der Websites Videos mit einzubinden, damit man sich ein Bild machen kann. Nein. Ich kenne Menschen, die zwar nicht beschreiben können, was Taylor Swift macht, sie würden aber trotzdem gerne zu einem Konzert von ihr gehen. 335,3 Millionen verkaufte Tonträger können nicht irren. Genau in diesem Spannungsfeld bewegt man sich als regionale(r) Veranstalter*in. Und hätte nicht irgendwann einmal ein Veranstalter oder Club-Betreiber Taylor Swift eine Chance gegeben, könnte sie heute nicht Ticketpreise von €100,- bis €640,- (VIP-Ticket) erzielen.

Alle genannten Punkte und noch viele mehr stellen die Kulturveranstalter (besonders die kleinen und mittleren) vor große Herausforderungen, will man die Möglichkeiten der Menschen auf Kulturbesuche heben und gleicher verteilen. Ja, wir schaffen die Möglichkeiten, aber sie müssen auch wahrgenommen werden. Was wir vermissen: Die dem Menschen angeborene Neugierde, die Lust, Neues und Unbekanntes zu entdecken, und damit den eigenen Horizont zu erweitern und zu umarmen. Jene Besucher*innen, die über eine Jahres-/Dauerkarte oder Abo verfügen, wissen das. Sie entdecken stetig Neues, weil sie auch den finanziellen Aspekt dabei getrost vernachlässigen können. Und um mit den Worten einer Besucherin zu sprechen: „Ich wurde im Emailwerk noch niemals enttäuscht“.

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