Ödön von Horváths 1924 geschriebenes Stück war lange verschollen und kam daher erst am 1. September 2016 im Theater in der Josefstadt zur Uraufführung. Nach Linz und Bochum fand nun am 15. März 2018 im Schauspielhaus Salzburg die Premiere der beklemmend abgründigen Tragödie statt.
Von Elisabeth Pichler
Die sieben Bilder des Stücks spielen alle im Treppenhaus der Zinskaserne des Herrn Fürchtegott Lehmann. Der gemeine Wucherer ist auf Grund einer Gehbehinderung ein Gefangener in seinem eigenen Haus. Auch seine Mieter sind in dieser Hölle gefangen, denn es geht ihnen allen sehr schlecht – dem bettelarmen Musiker Klein im Dachgeschoss ebenso wie der Prostituierten Gilda im Erdgeschoss, die von ihrem groben Zuhälter ständig misshandelt wird. Die junge Ursula weiß sich in ihrer Not nicht anders zu helfen, als ebenfalls auf den Strich zu gehen. Als sie auf den verkrüppelten Herrn Lehmann trifft, beschließt sie, stattdessen ihn zu heiraten. Dieser will nun als Ehegatte endlich ein besserer Mensch werden und so hilft er einer Kellnerin aus der Patsche. Der Wirt kennt jedoch keine Gnade und entlässt sie trotzdem. Der Reigen an Figuren dreht sich weiter und so steht die nächste Kellnerin schon bereit, bis sie wegen eines zerbrochenen Krugs Schwierigkeiten bekommt. Brenzlig wird die Lage, als plötzlich Lehmanns Bruder Kaspar auftaucht und sich an Ursula heranmacht. Als Herrn Lehmann seine Krücken abhandenkommen, stürzt er sich im Treppenhaus zu Tode und „Niemand“ hat etwas gesehen oder gehört.
14 Personen verkörpern die 24 Personen des Stückes: die Bewohner des Zinshauses, zwei Detektive sowie die vier schwarzgekleideten Herren, die ständig mit einem schwarzen Auto vorfahren, um die Toten abzutransportieren. Vincent Mesnaritsch hat eine riesige weiße Wanne mit schrägen Wänden und Klappen auf die Bühne gestellt. Während der Weg abwärts rutschend schnell zu bewältigen ist, erweist sich der Aufstieg als mühsam. Bemitleidenswert Theo Helm, der sich als Fürchtegott Lehmann mit zwei Krücken über die Bühne schleppen muss. Zur Hochzeit mit Ursula wirft sich der brutale Zuhälter (Bülent Özdil) den verkrüppelten Herrn einfach über die Schulter. Julia Gschnitzer klärt als „Uralte Jungfrau“ über die Herkunft des ominösen, Unglück bringenden Rings auf, der die Inschrift „Und die Liebe höret nimmer auf“ trägt.
In Horváths Jugendwerk, einem abstrakten, sozialkritischen Volksstück, haben alle unter Inflation, Arbeitslosigkeit und Wirtschaftskrise zu leiden. Regisseur Rudolf Frey bezeichnet „Niemand“ als Horváths Sturm-und-Drang-Stück, aufgeladen mit Symbolen und biblischen Zitaten. Er habe in diesem „intellektuellen Muskelspiel“ versucht, die expressionistische Sprache mit ganz speziellen Gesten zu visualisieren, die das Prinzip der Wiederholung und Wiederkehr verdeutlichen. Auch Elke Gattingers einheitliche Kostüme betonen, dass die Personen stets die Rolle eines anderen weiterspielen, denn alles wiederholt sich und so werden aus Mädchen Kellnerinnen und aus Kellnerinnen Dirnen.
Ein sehr formales, abstraktes Stück des 23-jährigen Horváths, in dem der junge Autor mit eiskalter Sozialkritik und schockierender Brutalität die Wurzellosigkeit von Menschen aufzeigt, die auf Grund der wirtschaftlichen Verhältnisse aus dem System gefallen sind.
„Niemand“ – Tragödie in sieben Bildern von Ödön von Horváth. Regie: Rudolf Frey. Bühne: Vincent Mesnaritsch. Kostüme: Elke Gattinger. Mit: Jonas Breitstadt. Susanne Wende, Kristina Kahlert, Olaf Salzer, Simon Jaritz, Frederic Soltow, Lukas Bischof, Daniela Enzi, Marcus Marotte, Theo Helm, Bülent Özdil, Juliane Schwabe, Agnes Herrlein und Julia Gschnitzer. Fotos: Jan Friese
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