Amélie Niermeyer inszeniert am Salzburger Landestheater Henrik Ibsens gesellschaftskritisches Drama „Ein Volksfeind“ in einer modernen Fassung. Juliane Köhler vom Residenztheater München wird als Badeärztin Katrine Stockmann für ihre sensationelle Entdeckung nicht gefeiert, sondern von einer „kompakten Mehrheit“ zur Volksfeindin erklärt. Viel Applaus für das erschreckend aktuelle Stück bei der Premiere am 11. Mai 2019.

Von Elisabeth Pichler
Für die Eröffnung des neuen Kurhauses plant das kleine, idyllisch in den Bergen gelegene Städtchen ein dreitägiges Fest unter dem Motto „vom Burn-out zum Burn-flow“. Die Schwester des Bürgermeisters, Badeärztin Dr. Katrin Stockmann, hat jedoch eine chemische Analyse machen lassen und es wurden verfaulte organische Stoffe im hochgepriesenen Thermalwasser entdeckt. Sie hat schon immer gewusst, dass die billige Variante, für die „die Lodenfraktion und die Holzköpfe“ plädiert hatten, eine Fehlentscheidung gewesen ist, denn der Zufluss ist zu tief verlegt worden, er hätte höher sein müssen. Der Redakteur des „Volksboten“ Hovstadt verspricht, den Bericht gleich am nächsten Tag zu veröffentlichen. Auch Aslaksen, die Vorsitzende der Hausbesitzervereinigung, steht als besonnene Bürgerin voll hinter der Ärztin. Bürgermeister Peter Stockmann hat jedoch schwere Bedenken. Die Sanierung würde die Stadtkasse Millionen kosten und eine monatelange Schließung des Kurbades erfordern. Der Bankrott wäre unvermeidlich und der gute Ruf als Heilbad für immer beschädigt. Frau Dr. Stockmann kann es einfach nicht fassen, dass man die Wahrheit aus wirtschaftlichen Gründen vertuschen möchte, und beginnt gegen Presse, Politiker und das gemeine Volk zu wüten. In der TV-Sendung „Talk in the City“ treffen die Kontrahenten schließlich aufeinander und das Publikum wird aufgefordert abzustimmen. Ist Frau Dr. Stockmann nun eine Volksfreundin oder doch eine Volksfeindin?
Als alleinerziehende Mutter einer erwachsenen Tochter lebt Frau Dr. Stockmann ganz für die Wissenschaft. In dieser Rolle darf Juliane Köhler Emotionen zeigen. Erst euphorisch über ihre grandiose Entdeckung, später gekränkt, verbittert, wütend und leicht hysterisch ob der Manipulierbarkeit der kompakten Mehrheit. Christoph Wieschke als ihr Bruder und Arbeitgeber will die Wahrheit nicht akzeptieren und die Medien sind ihm dabei eine große Hilfe, denn Hovstadt vom „Volksboten“ (Max Koch) will seinen Job nicht verlieren und dreht sich ebenso wie Aslaksen (Britta Bayer) nach dem günstigsten Wind. Statt einer Bürgerversammlung findet nach der Pause eine Talk Show statt, in der Thomas Huber als schmieriger Moderator, assistiert von seiner reizenden Online-Korrespondentin Nikki (Nikola Rudle), brilliert. Als es fast zu Handgreiflichkeiten kommt, geht man zwar schnell in die Werbung, aber das bringt Quoten.
Amélie Niermeyer ist es mit dieser modernen Fassung des originalen Textes von 1882 gelungen, die Aktualität des Stückes deutlich aufzuzeigen. Sie hat für ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis gesorgt und die Rolle der Medien und sozialen Netzwerke betont. Das herrliche Alpenpanorama ist nur kurz zu sehen, dann beherrschen die hässlichen Rückseiten der Plakatwände die Bühne (Bühne: Maria-Alice Bahra).
Im Original verhält sich Dr. Stockmann auf einer Bürgerversammlung so undiplomatisch und provokant, dass ihm die Fensterscheiben eingeschmissen werden. Frau Dr. Stockmann hingegen wird nach der Talk Show, in der sie mit einer Quote von 99% untergeht, einfach nur gekündigt. Sie aber gibt nicht auf, sie macht weiter und vertraut darauf, dass sich die Wahrheit und das Recht durchsetzen werden.
„Die Volksfeindin“ Nach Henrik Ibsen. Deutsch von Angelika Gundlach. Fassung für das Salzburger Landestheater von Amélie Niermeyer und Frank Max Müller: Mitarbeit: Hannah Bader. Vierter Akt: Thomas Huber. Inszenierung: Amélie Niermeyer. Bühne: Maria-Alice Bahra. Kostüme: Nicole von Graevenitz. Mit: Juliane Köhler, Anna Seeberger, Christoph Wieschke, Max Koch, Marco Dott, Britta Bayer, Nikola Rudle, Thomas Huber. Fotos: SLT/ © Anna-Maria Löffelberger
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