Juli Zeh, Simon Urban: Zwischen Welten

Simon Urban - Juli Zeh | Foto: Luchterhand © Peter v. Felbert

Simon Urban - Juli Zeh | Foto: Luchterhand © Peter v. Felbert

Juli Zeh, Simon Urban: Zwischen Welten

Autor*innen: Juli Zeh, Simon Urban
Titel: Zwischen Welten – Roman
ISBN: 978-3-630-877741-9
Verlag: Luchterhand Literaturverlag
Erschienen: Jänner 2023

Klappentext:

Zwanzig Jahre sind vergangen: Als sich Stefan und Theresa zufällig in Hamburg über den Weg laufen, endet ihr erstes Wiedersehen in einem Desaster. Zu Studienzeiten waren sie wie eine Familie füreinander, heute sind kaum noch Gemeinsamkeiten übrig.

Stefan hat Karriere bei Deutschlands größter Wochenzeitung BOTE gemacht, Theresa den Bauernhof ihres Vaters in Brandenburg übernommen. Aus den unterschiedlichen Lebensentwürfen sind gegensätzliche Haltungen geworden. Stefan versucht bei seiner Zeitung, durch engagierte journalistische Projekte den Klimawandel zu bekämpfen. Theresa steht mit ihrem Bio-Milchhof vor Herausforderungen, die sie an den Rand ihrer Kraft bringen.

Die beiden beschließen, noch einmal von vorne anzufangen. In einem offenen und sehr emotionalen Austausch per E-Mail und WhatsApp wollen sie einander ganz neu kennenlernen und sich gegenseitig aus ihren Welten erzählen – aus dem Leben im Elfenbeinturm der Hamburger Kultur-Elite und aus der erdverbundenen brandenburgischen Agrar-Existenz. Steckt hinter der alten Freundschaft vielleicht sogar eine verhinderte Liebe?

Doch während Stefan und Theresa einander näher kommen, geraten sie immer wieder in einen hitzigen Schlagabtausch um polarisierte Fragen wie Klimapolitik, Gendersprache und Rassismusvorwürfe. So sehr sie sich bemühen, die Politik aus ihrer Freundschaft herauszuhalten – es ist, als liefen die Gräben einer gespaltenen Nation mitten durch ihre Beziehung.

Ist heute wirklich jeder und jede gezwungen, eine Seite zu wählen? Gibt es noch Gemeinsamkeiten zwischen den Welten? Können Freundschaft und Liebe die Kluft überbrücken, oder sind es gerade enttäuschte Gefühle, die die Konflikte so unüberwindbar machen?

Als sich am Ende Theresas und Stefans Wege auf völlig unerwartete Weise kreuzen, müssen beide erkennen, dass sie im Begriff stehen, etwas Entscheidendes zu verlieren: die Freiheit, selbst zu bestimmen, wer man ist.

Anni Lemberger

Rezension von Anni Lemberger

Stefan und Theresa lebten in Studentenzeiten zusammen in einer WG. Während Stefan in Theresa verliebt war, war er für sie nur der beste Freund. So sollte es auch bleiben, trotz mehrerer Jahre im engen Zusammenleben. Sie waren beste Freunde und hatten ihre weltanschaulichen Diskussionen an Küchentisch ihres kleinen, gemeinsamen Reiches. Nach drei Jahren entschloss sich Theresa den Bauernhof ihres Vaters zu übernehmen und verließ wort- und kommentarlos die WG und ließ Stefan zurück.

Nach 20 Jahren treffen sie sich zufällig in Hamburg wieder aber eine weltanschauliche Kluft trennt sie, lautstark teilen sie sich das mit. Trotz des Trennenden in ihren Lebensphilosophien, wollen sie die einstige Jugendfreundschaft nicht sterben lassen und so beginnen sie aus der Distanz, sie neu zu beleben: per WhatsApp und per Mail teilen sie sich einander mit. Nähern sie sich bei einigen Themen an, so gehen beim nächsten Schreiben (speziell über WhatsApp) die Wogen wieder hoch, bis sie entgegen jeder Vernunft beginnen, eine gemeinsame Zukunft zu planen.

Aber sie haben nicht mit der zerstörerischen Kraft der sozialen Medien und der hinterhältigen Methoden von Hackern gerechnet.

Mutige Autoren mit einem Thema am Puls der Zeit, die zwei Protagonisten beschreiben, wie sie gegensätzlicher nicht sein könnten.

Theresa, eine Frau, die täglich von der harten Realität des (Bio)Bauern Dasein eingeholt wird und weiß, dass weder gendern, noch eine unrealistische Klimapolitik und schon gar nicht FdF – Fridays for Future ihren Bauernhof retten können. Sie muss erleben, wie ein Nachbarbauer überredet wurde, seine Lebensmittelproduktion einzustellen und stattdessen mit Mais eine Bioheizanlage zu füttern. Er geht letztlich damit zugrunde geht, was bei Theresa eine unkontrollierte Wut auslöst und sie politisch nach rechts schwenken lässt.

Dem gegenüber steht Stefan, der in eine irrationale linke Ecke abgerutscht ist. Kein Text ohne zig „Gender-Stern*innen“, der Kühe als Klimakiller bezeichnet und Rasterlocken bei Weißen als kulturelle Aneignung bezeichnet, der selbstverständlich ein Frauenversteher ist, auch einer afrikanischen Frau beruflich den Vortritt lässt und der Teenies hofiert, die als Klimaterroristen auftreten.

Als er versucht, durch seinen Kontakt zu Theresa etwas mehr in die Mitte zurück zu kehren, wird er sehr schnell durch unlautere Methoden in seine linke Ecke zurück geschoben.

Am Anfang war für mich der Buchaufbau ungewohnt, weil er die Form von wechselseitigen Mails und WhatsApp Nachrichten hat. Aber sehr schnell fand ich mich mit dieser Form des Lesens gut zurecht und wurde von der Spannung des Buches hinein gezogen.

Erschreckend real wird die zerstörerische Macht von Bloggern auf den sozialen Kanälen dargestellt, die Richtungen erzwingen, Handys hacken und mit aus dem Zusammenhang gerissenen Sätzen Leben und Karrieren zerstören. Aus saloppen Aussprüchen von gehackten Telekonferenzen werden aus lustigen Sätzen von integren Menschen, feindlich rassistische Aussagen und die Menschen zu Rassisten und Schlägern degradiert. Einmal online gestellt, ergießen sich Zehntausende Follower in einem Shitstorm über die so bloßgestellten Personen.

Dieser Roman spannend wie ein Thriller mit Themen erschreckend nahe an der Realität, hat mich noch lange nach der letzten Seite beschäftigt. Ich bin zu der Frage gekommen: Wie weit fallen die öffentlich gemachten, privaten SMS von bekannten Persönlichkeiten auch in diese Kategorie? Beispiele dazu gibt es leider genügend.

Ich würde mir wünschen, dass dieses Buch viele Menschen lesen und dass es danach viele Diskussionen auslöst – und vielleicht doch den einen oder anderen über seine Position nachdenken lässt, denn wir leben in einer Zeit, in der die Grenzen zwischen richtig und falsch und zwischen (den) Welten verschwimmen. 


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