Gesundheit

In Krankenhäusern kann gedrückte Stimmung herrschen. Diese ist auch hier zu fühlen, in der alten Gefäßchirurgie, wo man meinen sollte, heute einen unterhaltsamen Theaterabend verleben zu dürfen. Doch das flaue Gefühl setzt sich fort, als wir ein grünes Band ums Handgelenk gebunden bekommen, ein Patientenarmband, das einen irgendwie an das Markerl im Ohr des Schlachtviehs erinnert.

AstridMueller_kVon Astrid Müller

Wir werden als grüne Gruppe aufgerufen und sollten diese auch für den Rest des Abends bleiben. Mit dem Lift und einer griesgrämigen Schauspielerschwester fahren wir in den dritten Stock und werden in ein Zimmer gescheucht, wo der Tragödie erster Teil stattfindet.

Das Stück basiert auf der Novelle „Die Verwandlung ´“ von Franz Kafka, in dieser sich der junge Gregor Samsa eines Morgens als Käfer verwandelt vorfindet. In unserem Fall ist Herr Samsa, grandios gespielt von Paul Maresch, einem Leprakranken gleich erwacht, mit Wunden, Abszessen und Furunkeln. Die Eltern ratlos, die Schwester rührend und teilnahmsvoll (gespielt von Diana Marie Müller), sofort soll Gregor ins Krankenhaus. Szene 1 Ende, wir werden mit der Bemerkung, dass die Eltern Ruhe brauchen, nach draußen dirigiert.

Die Szenen der „Verwandlung“ wechseln sich mit Szenen aus dem Krankenhausalltag ab. Als nächstes sehen wir eine Frau mittleren Alters, einen Brief an ihre Freundin schreibend, in dem sie ihr erzählt, dass es nach einer Operation und einer Notoperation mit ihr zu Ende geht, und sie möge doch ihre Tochter nach ihr benennen. Zwischendurch schießen Schwestern herein, waschen sie in Windeseile, nur eine Schwester bleibt immer im Zimmer und teilt sich mit der Kranken den Monolog, wie um zu zeigen, dass es auch Schwestern gibt, die Empathie mit den Patienten empfinden und zu helfen versuchen, wo sie können.

Nun geht es weiter mit Gregor, er ist im Krankenhaus, der Arzt lässt sich von ihm nichts sagen, textet ihn und seine Familie mich Fachausdrücken zu, geht nicht auf Hintergründe ein, wie zb dass Gregor der Arbeit nicht fernbleiben kann, ohne den Prokuristen am Hals zu haben und dass ihn das zusätzlich stresst. Die Szene endet mit einem Monolog des Professors (gespielt von Walter Sachers) zu abszedierenden Wunden, den kaum jemand zu verstehen scheint.

Im Schwesternzimmer angelangt werden wir Zeugen einer Zeugenaussage einer Schwester, die während eines Notfalls eine lästige Patientin geschlagen hatte. Geschäftiges Treiben runderherum, wir werden immer wieder von unserem Stehplatz vertrieben, es zeigt den Schwesternalltag, immer in Bewegung, immer korrekt, doch auch hier muss man erkennen, dass es auch nur Menschen sind.

Inzwischen geht es Gregor schlechter, er kann kein genießbares Essen mehr zu sich nehmen, verhält sich wie ein Tier, frisst im wahrsten Sinn des Wortes nur noch Abfall. Der Arzt ist der Meinung, dass er völlig gesund ist. An uns werden Urinbecher ausgeteilt.

Wir kommen in einen Vorlesungsraum, in dem ein Film über Käfer abgespielt wird. Der Professor hält dazu eine Rede, dass er doch nur seine Pflicht tue und keine Wunder bewirken könne, was die Leute sich erdreisten, sowas auch nur anzunehmen. Einserseits verachten, andererseits vergöttern sie ihn. Unnötig zu´sagen, dass die Ärzte in diesem Stück nicht gut wegkommen.

Gregor wird vom Prokuristen im Krankenhaus besucht und geschimpft, warum er wegen nichts seine Arbeit versäume. Obwohl Gregor kaum stehen, geschweige denn laufen kann, versucht er, den Arbeitgeber zu überzeugen, dass er bald wiederkomme, es sei doch nichts Ernstes.

Die nächste Szene war mit Abstand die Traurigste. Onkel Willy sitzt am Bett seiner Nichte Steffi, die einen Teilabort hinter sich hat. Er erzählt davon, wie schmierig und unleidlich der behandelnde Arzt war, der sich nicht auf die Patientin eingelassen hat, gemeint hat, eine Kyretage wäre das einzig Richtige und sie soll sich nicht so anstellen, als würde sie ein schwerstbehindertes Kind wollen. Ein wenig stärker fühlt man hier schon die Beklemmung und auch Tränen in den Augen brennen.

Gregor schreibt Tagebuch, um sich selbst in seinen dunklen Stunden noch erleben zu können. Er wünscht sich nichts sehnlicher, als dass seine Schwester bis zu seinem Ende bei ihm bliebe. Er begreift endlich, dass er wirklich ernsthaft krank ist.

Ein Zimmer voller Monitore. Andrea, Tochter eines an Prostatakrebs erkrankten Mannes, schreibt in einem Forum über die Krankheit, gibt intimste Details preis und fühlt sich von einem Mann verfolgt, der mit der Bibel wirbt. Es geht soweit, bis der Vater stirbt. Das Forum hat ihre Familie und Freunde ersetzt, wie es heute oft der Fall ist.

Wieder draußen am Gang empfängt uns ein Tollhaus. Der Professor und seine Schwestern, auch zwei Patienten tanzen einen nahezu kafkaesken Rap, singen dazu, es geht um die üblichen Worte, die Patienten zu hören bekommen (Husten Sie mal, Soso, nana…). Gregor Samsa geht zwischen den wie rasenden Leuten herum und versteht die Welt nicht mehr.

Zu guter Letzt erfahren wir eine Szene mit einem Lungenkrebskranken kurz vor seinem Tod. Er möchte auch einen Brief an einen Freund schreiben, in seinem Monolog geht er zum Fenster, um sich eine Zigarette anzuzünden, tut es jedoch nicht. Als er seinen Brief zu Ende geschrieben hat, knüllt er das Blatt zusammen und schmeißt es in die Ecke, wo schon einige andere liegen.
Neben ihm liest ein anderer Patient in der Krone.

Die Schwester Gregors möchte ihn endlich loswerden, er ist zu einem Ungeheuer geworden. Nach längerem Monolog über die Schlaflosigkeit, stirbt er. Die Eltern sind untröstlich, die Schwester jedoch blüht auf.

Zu guter Letzt fahren wir bedrückt mit dem Lift nach unten, kein Laut kommt uns über die Lippen, insgeheim sind wir alle froh, nicht im Krankenhaus sein zu müssen. Wir holen unsere Jacken und gehen. Viele Begebenheiten aus diesem Stück kennt man, man hat sie vielleicht selbst an sich schon erlebt oder an anderen Leidenden.

Die Krankenzimmer als Kulissen, das enge Beisammenstehen mit den Schauspielern, die sich in ihrer Rolle teils kurz vor ihrem Tod befanden, all das stellt eine Art des Theaters dar (so genanntes Stationentheater), das berührender ist, als einfach nur in einem Saal zu sitzen. Die Schauspieler stellten Augenkontakt her und banden einen in das Stück mit ein. Alles in allem stellt auch dieses Stück ein weiteres Meisterwerk des Salzburger Landestheaters dar, da ist es umso mehr schade, dass es nicht oft gespielt wird.

Gesundheit! (UA) | Ein Blick ins Herz der Gesundheitsmaschine | Premiere: 15.05.2014 | SALK – Salzburger Landesklinikum Gefäßchirurgie | Inszenierung: Astrid Großgasteiger. Dramaturgie: Petra Siegel. Video: Elena Hofmann. Textfassung: Christoph Busche nach Texten von Franz Kafka und mit Monologen von Barbara Keller, Sylvia Nachtmann, Waltraud Prothmann und Lele Vogl | Besetzung: Gregor Samsa – Paul Maresch, Grete Samsa – Diana Marie Müller, Professor / Prokurist – Walter Sachers, Lisa – Birgit Mittermüller, Tina – Helga Mühlbacher, Marlene – Lele Vogel, Anna – Monika Petschenig, Jana I – Waltraud Prothmann, Jana II – Sylvia Nachtmann, Willy – Rupert Huttegger, Andrea – Martina Bruckmann, Emanuel – Peter Siglreithmaier, Hans – Armin Nowak, Patientin I – Sylvia Herites, Patientin II – Marianne Lehner | Fotos: Christina Canaval/ SLT

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2 Kommentare zu "Gesundheit"

  1. Avatar-Foto Bernd Salomon | 19. Mai 2014 um 12:12 |

    Was sag´ich immer, lieber gesund und reich als krank und in den Armen von Ärzten! Gottseidank gibt es sie und die hohe Wissenschaft der Medizin und Gottseidank bin ich momentan gesund. bei den Aussichten kann einem das Kraksein ganz schön vergehen! Das Stück kann ich mir wegen meiner ausgeprägten Krankenhausphobie und Weisskittelallergie nicht anschauen, obwohl es offensichtlich gut sein dürfte! 😉

  2. Heide-Maria Müller | 17. Mai 2014 um 16:21 |

    Dieser Theaterabend war wirklich sehr bedrückend. In beinahe jeder Szene erkannte man im übertragenen Sinn einen Bekannten oder Verwandten, der “Ähnliches” mitmachen musste oder muss. Besonders beeindruckend spielte Paul Maresch den entstellten Gregor Samsa, aber auch Rupert Huttegger als Onkel Willi (eigentlich Laienschauspieler) hat mich sehr berührt. Ein Abend, an den ich noch lange denken werde.

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