Wo sind die Zeiten nur geblieben, als das eigene Essen nicht sicher war vor nächtlichen Heimkehrern und als unangemeldete Parties den Nichtsahnenden aus den Schlaf rissen?

Von Siegfried Steinkogler.
In der Schubertstrasse 200 bilden vier junge Menschen eine WG, sprich eine Wohngemeinschaft. Also eine jener modernen Wohnformen, die aus Kostengründen von Studenten gewählt werden und grundverschiedene Vorstellungen über das Wohnen an sich und über Ordnung im speziellen zu Tage fördern. Eines allzu nachlässigen Mitbewohners überdrüssig, inserieren die beiden Mädchen in der Zeitung. Prompt meldet sich Chris, ein Charmeur par excellence, dem es mühelos gelingt, zuerst Anna, die Psychologiestudentin und hernach auch noch Isabella, bewandert in Kunstgeschichte und den Bildnerischen Künsten, zu verführen: “Drama” mit darauf folgender Versöhnung vorprogrammiert! Als schlussendlich der zum Phlegma neigende Diego sich ein Herz nimmt und – von Chris instruiert – perfekt gekleidet bei der eifersuchtsgekränkten Kunststudentin landet, nimmt die Geschichte ein doppelt versöhnliches Ende.

Technisch gesprochen wird einer in der Jetztzeit spielenden Handlung Musik von Franz Schubert unterlegt. Dafür wurden vier heute nahezu vergessene Bühnenwerke Schuberts aus dem Jahr 1815 ausgesucht und in Collagetechnik den jeweiligen Szenen der WG-Handlung zugeordnet. Die Zahl 200 steht dabei für die Differenz zwischen dem Kompositionsjahr und dem Uraufführungsjahr 2015.

Die neu erdachte Handlung wird im Rahmen des Internationalen Opernstudios Gerard Mortier vom routinierten Operndirektor Andreas Gergen und Regieassistenten Karsten Bohn mit viel Bühnenwirksamkeit szenisch umgesetzt. Unvergessen bleiben eine mit viel Komik realisierte Kino-Szene und das exzessive Farbgeschmiere in Rot. Mit dem Thema Erotik wird virtuos umgegangen.
Über das Gesangsensemble des Opernstudios Gerard Mortier, einer Förderinstitution des Salzburger Landestheaters lässt sich viel Gutes berichten. Da wäre zum Beispiel der emotionale, ja bisweilen explosive Sopran von Emalie Savoy, der mit großer Treffsicherheit mühelos jedes Forte der Kammerorchesterbesetzung des Mozarteum Orchesters überragt. Oder der wesentlich subtilere Sopran Ayse Senoguls, einer jungen Sängerin mit Hang zum lyrischen Genre, die mit viel Talent und Potential ihre Aufgabe meistert.
Auch der männliche Teil der Sangesbelegschaft weiß zu überzeugen: Ugur Okay besticht als sonorer Bass immer an passender Stelle durch seine durchdringende Stimmpräsenz und erweist sich als Bank für das Komische Fach. Kristofer Lundin komplettiert das Gesangsquartett. Sein nicht allzu stimmgewaltiger Tenor erweist sich als Glücksgriff für die subtile Gefühlswelt eines Franz Schubert.
Durch eine überzeugende, nie an der Oberfläche verweilende, Regiearbeit und durch die einfühlsamen Gesangsdarbietungen wurde Schubertstrasse 200 von einem Experiment zu einer ansehnlichen Theaterproduktion, der eine Wiederaufnahme ausdrücklich zu wünschen ist. Das Mozarteum Orchester fühlt sich bei dieser Musik, die teils nach Mozart und Beethoven, dann wieder unverkennbar nach Schubert klingt, auf besonders sicherem Boden und bewegt sich hierbei gewissermaßen auf ureigenstem Terrain. Dirigent Adrian Kelly arbeitet feinste Nuancen aus den vier vergessenen Schubert-Partituren heraus und trägt somit essenziell zum Erfolg dieser Aufführung bei.
Schubertstraße 200 | Internationales Opernstudio Gerard Mortier | Eine Kammeroper mit Musik von Franz Schubert | Premiere: 15.03.2015 | Bühne 24 im Marionettentheater | Musikalische Leitung: Adrian Kelly | Inszenierung: Andreas Gergen | Mit Emalie Savoy, Ayşe Şenogul, Kristofer Lundin, Uğur Okay, Orchester Mozarteumorchester Salzburg | Fotos: Anna-Maria Löffelberger
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