„Anatol“ – Die Qual der Ungewissheit

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Arthur Schnitzler erkundet in seinem Ende des 19. Jahrhunderts entstandenen Einakter-Zyklus die Seelenlandschaft der Wiener Oberschicht. Fünf Liebesabenteuer des ewigen Verführers Anatol hat Michael Gampe im Salzburger Landestheater überaus stilvoll in einem traumhaft edlen Bühnenbild in Szene gesetzt. Viel Jubel bei der Premiere am 22. März 2015.

elipi_aVon Elisabeth Pichler

Das weite, wellige, mit beigem Stoff überzogene Bühnenbild steht für die Seelenlandschaft des Protagonisten, wobei die Psycho-Couch des Dr. Freud nicht fehlen darf (Ausstattung: Christine Brandi). Verloren wirkt Anatol, wenn er mit einem Koffer voller Erinnerungsstücke an alte Liebschaften bei seinem Freund Max auftaucht und um Asyl bittet für seine Vergangenheit. Die Frage nach Wahrheit, Schuld und Treue macht dem ewig Suchenden zu schaffen. Die ständige Angst, als Verlierer dazustehen, hat ihn misstrauisch werden lassen. Aus eigener Erfahrung weiß er, dass es oftmals besser ist, jemanden zu belügen, statt zu betrüben.

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Die Angst vor der Wahrheit hält ihn davor ab, Cora, einem reizenden, frischen Wiener Mädel mit zerstochenen Fingern, die „Frage an das Schicksal“ zu stellen, obwohl sie in Hypnose versunken vor ihm liegt. Die Zirkuskünstlerin Bianca war zwar nur eine „Episode“ für ihn, doch als er feststellen muss, dass sie ihn bei einem zufälligen Treffen nach drei Jahren kaum wiedererkennt, fühlt er sich in seiner Eitelkeit zutiefst gekränkt. „Weihnachtseinkäufe“ führen zu einem Treffen mit Gabriele, einer verheirateten, eleganten Dame, die gesteht, dass sie die Mädel aus der Vorstadt um ihre Freiheit beneide. Ihr fehle der Mut, sich zu einer neuen Liebe zu bekennen. Das geplante „Abschiedssouper“ mit der Balletteuse Annie nimmt eine ungeplante Wendung, bei der Max seine Schadenfreude nicht verhehlen kann. In „Agonie“ treffen wir auf einen völlig desillusionierten Anatol, immer noch auf der Suche nach der wahren Liebe, die er bei der verheirateten Else wieder nicht finden wird.

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Sascha Oskar Weis fühlt sich in der Rolle des umtriebigen Anatol sichtlich wohl. Er überzeugt sowohl als charmanter Verführer als auch als gekränkter Verlierer. Gero Nievelstein als Max erweist sich als geduldiger Zuhörer und versucht, seinem Freund mit scharfsinnigen Kommentaren zu helfen: „Jede Frau ist ein Rätsel. Für jeden Mann ist die Frau ein Rätsel, dessen Lösung er bei der Nächsten sucht.“ Die Liebesabenteuer führen Anatol durch alle Gesellschaftsschichten. Ob Cora (Johanna Rehm), Bianca (Claudia Carus), Anni (Nikola Rudle), Gabriele (Beatrix Doderer) oder Else (Julienne Pfeil), der selbsternannte „Hypochonder seiner Gefühle“ deutet jede dieser Affären als ganz große, einmalige Liebe, obwohl er von Anfang an das Ende herbeisehnt, um zur Nächsten weiterzuziehen.

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Regisseur Michael Gampe hat die funkelnde Komödie als großes Seelendrama inszeniert und lässt dem Publikum viel Zeit, die geistreichen Pointen zu verarbeiten. Ein intensiver Theaterabend, der das Publikum mit einem traumhaft schönen Bühnenbild und stilvollen, eleganten Kostümen verzaubert und in die dekadente Gesellschaft des „Fin de Siécle“ entführt.

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„Anatol“ von Arthur Schnitzler. Inszenierung: Michael Gampe. Ausstattung: Christine Brandi. Mit: Sascha Oskar Weis, Gero Nievelstein, Johanna Rehm, Claudia Carus, Beatrix Doderer, Nikola Rudle, Hanno Waldner, Julienne Pfeil. Fotos: © Anna-Maria Löffelberger

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