Jossi Wieler inszeniert Stefan Zweigs Novelle „Angst“

Elsie de Brauw, Katja Bürkle © Arno Declair

Zum 90-Jahre-Jubiläum der Salzburger Festspiele kommt erstmals ein Werk des großen Dichters zur Aufführung. Die Bühnenfassung dieser hochdramatischen Novelle aus dem Jahre 1910 schrieb der niederländische Autor und Dramaturg Koen Tachelet.

Elisabeth Pichler

Von Elisabeth Pichler

Es handelt sich um ein Ehedrama der besonderen Art, ein spannungsgeladenes Psychogramm einer in ihrer gesellschaftlichen Identität gefangenen Frau.

Irene ist mit dem erfolgreichen Strafverteidiger Fritz Wagner verheiratet. Sie haben zwei Kinder: einen Jungen und ein Mädchen. Bei einer Abendgesellschaft lernt sie den jungen Pianisten Eduard kennen und wird seine Geliebte, ohne es recht zu wollen oder darüber nachzudenken, “aus einer gewissen Trägheit des Widerstandes gegen seinen Willen und einer Art unruhigen Neugier”.  Doch dieser Seitensprung bleibt nicht ohne Folgen, denn eines Tages taucht eine arbeitslose, junge Dame auf und behauptet, Eduards Freundin zu sein. Irene drückt ihr alle Geldscheine in die Hand, die sie gerade im Portemonnaie hat und schwört ihr, nie wieder Kontakt mit ihrem Liebhaber aufzunehmen.

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Die Angst vor Entdeckung, die bisher fast anregend wirkte, bekommt nun ein Gesicht, denn diese „unverschämte Person“ taucht immer wieder auf und verlangt noch mehr Geld. Bald wagt sich Irene nicht mehr aus dem Haus. Den Kindern, dem Ehemann, dem Dienstmädchen fällt ihr ungewohntes Verhalten auf. Albträume beginnen sie zu plagen, doch als ihr Gatte sich besorgt erkundigt, erwidert sie aufgebracht: “Was fällt dir ein. Weil ich nicht gut schlafe, sollte ich schon Geheimnisse haben? Am Ende gar Abenteuer?”

Koen Tachelets Dramatisierung lässt aus dem beschreibenden Text der Novelle eine eigene Theatersprache entstehen, arbeitet viel mit inneren Monologen und dem Wechsel zwischen Erzählprosa und direktem Dialog. Irene steht stets im Mittelpunkt, ihr Gatte, ihre Kinder, das Dienstmädchen, sie tauchen auf und verschwinden wieder. So entsteht ein psychologisches Kammerspiel in dem Wahn, Traum und Wirklichkeit verschwimmen. Der Einfluss Sigmund Freuds, an dessen Psychoanalyse Stefan Zweig sehr interessiert war, wird hier deutlich erkennbar.

Elsie de Brauw © Arno Declair

Elsie de Brauw (Irene Wagner)  und André Jung (Dr. Fritz Wagner)  begeistern mit grandiosen schauspielerischen Leistungen. Sie lässt uns mitleiden, teilhaben an ihrer Angst, ihrer zunehmenden Verzweiflung, ihre Monologe sind von erschreckender Ehrlichkeit und lassen tief in ihre Seele blicken. Er wiederum besticht durch Distanz und Kühle, der Klang seiner Stimme lässt jedoch seine tiefe Betroffenheit erkennen. Katja Bürkle, die freche Erpresserin, ist mit Perücke, Brille und völlig anderer Stimme als distanziertes Dienstmädchen kaum wieder zu erkennen. Das minimalistische Bühnenbild (Anja Rabes) mit seinen weißen Wänden und den schwarzen Metallröhren deutet zeitlose Heutigkeit und große Kälte an, der Boden jedoch beginnt im Laufe des Abend oftmals zu schwanken und mit ihm Irene in ihrer „bodenlosen“ Angst.

Jossie Wielers geht es vor allem um die Frage nach Identität, um Wahrheit, Lügen, Verbergen und um ein Hinterfragen des Selbstverständnisses. Seine behutsame Inszenierung tut dem doch etwas antiquierten Thema gut. Irenes Gefühlsausbrüche, ihre aus heutiger Sicht etwas verworrenen Ängste, ihre zunehmend hysterischer werdenden Anfälle, entbehren nicht einer gewissen Komik. Die wunderbar literarische Sprache Stefan Zweigs, gekonnt für die Bühne bearbeitet, und  brillante schauspielerische Leistungen sind Garanten für einen beeindruckenden, aber auch unterhaltsamen Theaterabend.

„Angst“, nach der Novelle von Stefan Zweig in einer Fassung von Koen Tachelet, Uraufführung / Regie: Jossi Wieler / Bühne und Kostüme: Anja Rabe / Mit: André Jung, Elsie de Brauw, Lena Anderle, Johannes Geller, Katja Bürkle, Stefan Hunstein | Fotos: Salzburger Festspiele / Arno Declair

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