Mein Besuch bei alten Bäumen (6)
Wenn man von der „Alm“ in Bürmoos in Richtung Ortszentrum schaut, so sieht man unter diesem Moränenhügel des einstigen Salzachgletschers eine Senke. Wie in unserer Gemeinde üblich – der flachsten Gemeinde des Landes Salzburg – so ist der Höhenunterschied zur Alm mit heute 12 Höhenmeter nicht allzu bedeutend.

Von Wolfgang Bauer
Bevor man einen Teil des Torfes abgestochen hatte war der Höhenunterschied sogar unter 10 Meter gewesen. Diesen Teil des Bürmooser Moores nannte man früher „Hasenmutter“. Er gehörte zum St. Georgener Teil unserer früher geteilten Gemeinde.
Diese Torfgründe gehörten zum Besitz des Ritter von Mertens, später kaufte sie der Glashüttenbesitzer Ignaz Glaser. Nach einem Plan von Biermoos von Karl Jivasek aus ca. 1856, überarbeitet 1863 von G. Thenius, fand sich in dieser Senke die größte Torfmächtigkeit des ganzen Bürmooser Moores mit 22 bis 27 Wiener Fuß, das sind rund 7 bis 8,6 Meter.
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Entstanden war der Torf wohl, weil hier früher ein kleiner See war, der im Laufe der Jahrtausende verlandete und zu Torf wurde. Jährlich wächst der Torf dabei durchschnittlich einen Millimeter.

Am Rande dieses mächtigen Moores fand ich bei einem Spaziergang 1992 eine Moorbirke, die ganz allein auf einer Streuwiese auf Torfuntergrund stand. Sie hatte damals einen von mir bei diesem eher kurzlebigen Baum noch nie gesehenen Stammumfang von zwei Metern.

Bei diesen hier optimalen Bedingungen war sie wohl privilegiert, aber auch schutzlos gegen Stürme, Hagel und Schnee. Viel älter als 80 bis 120 Jahre werden Birken normalerweise nicht, Moorbirken in Ausnahmefällen bis 200 Jahre.

Längst glaubte ich sie zu Brennholz verarbeitet oder zu Humus zerbröselt. Aber sie lebt noch und das vielleicht sogar seit dem 19. Jahrhundert, denn groß war meine Überraschung, als ich diesen Methusalem unter den Birken bei einem Spaziergang im Jänner 2021 noch immer kraftvoll und vital vorfand. War sie früher allein auf einer Streuweise gestanden, so hatten sich die Siedlungshäuser jetzt weit in das frühere Moor vorgeschoben und der letzte Gartenzaun war nur zwei Meter von der Birke entfernt errichtet worden.

Die „Hasenmutter“ war einer der ersten Teile des Moores, in denen Torf abgebaut worden war. Auch heute ist noch immer einiges an Torf unter den Streuweisen vorhanden, weil früher ein Wasserabfluß fehlte und sich die Torfstiche wieder mit Wasser gefüllt hatten. Der Glashüttenbesitzer Ignaz Glaser begann mit dem Abbau nach eigenen Aufzeichnungen 1890. Der Rottbach (Kaiserbacherl) mit seinen Stichgräben war erst viel später in den Jahren 1935 – 1940 angelegt worden.

In der Zeit der Glashütte waren in der Nähe der Birke Torfhütten errichtet worden, in denen der trockene Torf gelagert wurde, um dann bei Bedarf mit Fuhrwerken zur Glashütte und in die Ziegelei transportiert zu werden. In den Jahren 1891 und 1892 ließ er dort sechs Torfschupfen mit je 10 Meter Breite und 5 Meter Höhe bauen – insgesamt mit einer Länge von 500 Metern. Das Jahr 1892 war überhaupt ein besonderes Jahr gewesen: Man hatte genügend Torfstecher anwerben können, das Wetter war trocken und heiß und so erntete man die unvorstellbare Menge von 110.000 m3 besten Torfes.
Auf einen Transport mit der Schmalspurbahn (Bockerlbahn) gibt es keine Hinweise. Viel über die damalige Zeit der Glasfabrik, der Ziegelei und der Torfstecher kann man – bei dichterischer Freiheit – in dem Buch von Georg Rendl „Die Glasbläser von Bürmoos“ erfahren.
Gestochen wurde der Torf von Saisonarbeitern aus Böhmen, dem Mühlviertel und aus Norditalien. Bis zu 250 Partien zu je zwei Leuten arbeiteten hier ab April jedes Jahr. Angeworben wurden sie im Mühlviertel und im Böhmerwald von Otto Ackermann und in Norditalien von dem aus Nimis bei Udine stammenden Antonio Gervasi. Beide warben auch Ziegeleiarbeiter an, da auch das Ziegelschlagen anfangs nur eine Arbeit in der Sommersaison war.

Die Torfstecher waren die Untersten in der Hierarchie der Arbeiter, an deren Spitze die Glasbläser standen. Sie kamen meist ohne Familien und wohnten in armseligen Baracken. Im April begann man Torf zu stechen und das durchgehend bis in den Sommer. Später gestochener Torf wurde nicht mehr trocken bis zum Herbst. Daß er überhaupt trocken genug zum Verheizen wurde erforderte auch, daß die Torfkasteln nach einiger Zeit umgeschlichtet werden mußten (umkasteln genannt). Dabei kamen die oberen, trockenen Reihen der Torfwasen nach unten und die unteren nach oben. Im Herbst erfolgte die Entlohnung der Torfstecher je nach Menge des gestochenen Torfes und die Leute kehrten in ihre Dörfer zurück.

Einige Männer, die zu Hause keine Zukunft sahen, versuchten wohl, hier Fuß zu fassen. Sie blieben auch den Winter über hier. Da verrichteten sie dann einfache Arbeiten wie Torftransport, Instandhaltung, Werkzeugpflege usw. Diese Hiergebliebenen holten auch ihre Familien nach. Das Wohnungsangebot war allerdings so knapp, daß einige Familien in gänzlich untauglichen Örtlichkeiten hausen mußten, bis sie etwas Besseres fanden. Bei diesen Familien kamen natürlich auch Kinder zur Welt und so kann man bei den Geburtseintragungen statt Hausnummern dann lesen: Geburtsort: Steinemagazin, Feldbaracke oder Torfhütte.

Weil bisher keine Listen der Torfarbeiter gefunden wurden, kann man nicht sagen, ob die Frauen auch als Torfarbeiter beschäftigt wurden, oder „nur“ den Haushalt führten und die oft zahlreichen Kinder hüteten. Bei den Eintragungen zwischen 1897 und 1912 findet man daher Geburten von Anfang Februar bis Mitte Oktober.
Besonders lang war die Familie Fridolin Schacherl und Albina, geb. Kerschbaumer offensichtlich in einer Torfhütte wohnhaft. 1897 kam der Sohn Franz Xaver in einer Torfhütte zur Welt, zehn Jahre später im April 1907 brachte die 19jährige Tochter Maria Schacherl dort den Sohn Franz zur Welt. Einen Monat später heiratete sie Franz Sommer, Torfstecher, aus Klaffer im Mühlviertel stammend, der sich auch im Beisein von zwei Zeugen vor dem Pfarrer als Vater ihres Kindes bekannte.


Ebenfalls länger dürfte auch die Familie Peter Guss (Kuss) und seine Frau Bertha, geb. Blechinger in einer Torfhütte gewohnt haben. Im Juni 1902 wurde dort der Sohn Peter Paul und im Juni 1904 die Tochter Anna geboren. Das Erstaunliche dabei ist, daß alle diese Kinder keine höhere Sterblichkeit aufwiesen als die in Häusern aufgewachsenen, wie spätere Eintragungen in den Kirchenmatriken belegen.


(Auszug aus meinem in Vorbereitung befindlichen Buch „Leben und Tod im Moor“).
Vieles könnte diese einsame Moorbirke wohl über die Schicksale der Torfstecher erzählen. Wie viele werden sich in ihrem Schatten ausgerastet und ihre kargen Malzeiten eingenommen haben. Streitereien wird es da wohl gegeben haben und auch freudvolle Momente.

Viele Jahre stand die Birke im Bürmooser Moor am Ende der Siedlung, die in das abgebaute Moorgebiet gewachsen war. Nun konnte sie der Wucht eines Sturmes Ende Juni 2021 nicht mehr standhalten und liegt entwurzelt am Boden. Ein Ende, an dem einmal nicht die Motorsägen schuld sind.