Sarah Kuratle: Greta und Jannis

Sarah Kuratle

Sarah Kuratle | Foto: Otto Müller Verlag - Privat

Greta und Jannis: Vor acht oder in einhundert Jahren

Autor: Sarah Kuratle
Titel: Greta und Jannis: Vor acht oder in einhundert Jahren
Verlag: Otto Müller Verlag Salzburg
232 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag
ISBN: 978-3-7013-1288-7
Erschienen: August 2021

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Klappentext:

Jede Berührung ist Teil einer Schuld, die älter ist als sie selbst. Greta und Jannis waren Nachbarskinder. Als Jannis Greta schüchtern fragte, ob er ihr Bruder sein darf, war sie einverstanden. Jahre später küsst sie ihn mitten auf den Mund. Sie verlieben sich wie naturgewollt – und dürfen doch kein Liebespaar sein.

Ein Geheimnis ihrer Familien, ein Geröllfeld, bald ein ganzer Gebirgszug liegt zwischen ihnen. Während Jannis in der Stadt bleibt, zieht sich Greta ins letzte Dorf im Gebirge zurück, wo vieles anders ist, als es scheint.

Die Kinder, die sie mit ihrer Großtante Severine umsorgt, wurden ausgesetzt – weil es ihnen an Kraft und Ausdruck fehlte. Täglich schimpft Severine über die Väter und schweigt über die Mütter: „Hast du Gott heute schon gedankt, dass du keinen Mann hast?“ „Nein, aber ich werde es noch machen“, antwortet Greta dann und sagt nicht, wohin sie für Tage, mehr noch für die Nächte durchs Gebirge reist.

Sarah Kuratles betörend schöner Debütroman führt in eine zart schwebende, intime, zuweilen surreale Welt. Er bewegt sich in einem märchenhaften Raum, der sich einer zeitlichen und geografischen Zuordnung entzieht. In eindrucksvollen Bildern ergründet die Autorin den Zauber des Spürens und die Tragik hinter dem, was recht und richtig scheint. Ihre Sätze sind voller Melodie, kein Wort ist zufällig, wenn sie vom Leben und Lieben in der Abgrenzung erzählt.

Peter Reutterer

Rezension von Peter Reutterer

Zartmut

Was bedeutet erzählen? In jedem Fall wollen wir in eine uns unbekannte faszinierende Welt hineingenommen werden. Und das gelingt der jungen Autorin Sarah Kuratle (sie stammt aus Bad Ischl) mit ihrem Debut-Roman über ein in wahrer Liebe verbundenes Liebespaar wunderbar. Dort im letzten Dorf im Gebirge flirrt es vor Sinnlichkeit und märchenhafter Liebe, das Flair einer speziellen Überwirklichkeit umschwebt die Leser*innen. Dabei könnte gleichzeitig alles auch dem eigenen Erleben und der Beobachtung der Autorin entstammen, so authentisch wird es vorgetragen. Von Anfang an ist klar: Diesem Romantext wurden Sorgfalt und Zeit in einem besonderen Maß gewidmet, die zarten einander umschlingenden Satzgebilde wirken so trotz ihrer Komplexität naturhaft gewachsen.

Das Haus mit der Backstube im letzten Dorf im Gebirge ist für Greta unverbrüchliche Heimat. Dort bereitet Großtante Severine köstliches Brot und umsorgt Findelkinder. In dieser urtümlichen Natur voller Wunder und Gefahren wachsen die Nachbarskinder Greta und Jannis wie Geschwister auf, einander von Anbeginn an zärtlich zugetan. Der Vater des Buben klärt aber an einem Schicksalstag die herangewachsene Greta darüber auf, dass sie und ihr Lieblingsmensch Halbgeschwister seien.

Es beginnt mit dem Schnee auf den Lippen der Frau und der Verklärung von Greta und Jannis: Einander sind sie Gold und Paradies. Groß ist die Liebe. Die Liebenden verbleiben Kinder. Jannis trägt sein Herz wie ein Kind im Gesichtsausdruck. Sarah Kuratle vermag zu beobachten und intensivste Momente anrührend darzustellen. Sie würde ihn auf die Wangen weich küssen, neben den Augen, wo überall sein Lächeln lag. Wie schön, dass derart poetische Gebilde im heutigen Literaturbetrieb erblühen dürfen. Nicht zuletzt verdankt der sprachgewandte Rhythmus seinen Zauber dem Werdegang der Autorin: Sarah Kuratle hat sich zuerst mit Lyrik einen Namen gemacht und Auszeichnungen (z.B. manuskripte – Förderpreis) erworben. Und wie sie selbst erzählt, hat ihr das lyrische Sprechen die Kompetenz entfaltet, eine Geschichte fertig zu erzählen.

Die Liebe der Halbgeschwister steigert sich, sie ist in ihrer Unvergänglichkeit vom Inzesttabu der Gesellschaft nicht abzuwürgen. Sie wächst, selbst wenn sich Greta zu Beginn körperlich einem Hirten überlässt, um Möglichkeiten der Lust auszuloten. Und ungeachtet dessen, dass Jannis bald in der fernen Stadt heiratet. In einem Reigen von Früchten tanzt diese Liebe, werden Brüste und Haut süß wie Honig und Lippen rot wie Himbeeren oder Brombeeren.

Die Autorin lässt sich auf die vielfältigen Untiefen des Menschlichen und einer in sich vernetzten Natur ein. So verzaubert Kuratle zusammen mit ihrer Protagonistin Greta die Leser*innen durch ein synästhetisches Feuerwerk an Wahrnehmungen aus der Pflanzen- und Tierwelt. Selbst der Geliebte muss schweigen, wenn die Stimme der allumfassenden Natur anhebt. Sei bitte leise, Jannis, ich mag auf die Gerüche achten. Alles darin zumeist betörend schön ineinander verwoben. Es gibt auch Vögel, die mit Blüten fliegen. An ihren Federästen bleiben Blätter und rosa und rote Blüten von Obstbäumen hängen, sie trocknen in der Sommerluft, verwachsen mit den Vögeln. Viele Wanderungen im Gebirge, im Wald, an verborgenen Seen sind – wie die Autorin bekennt – erfolgt, um so detailreich und wortgewandt dem Zauber wildwüchsiger Natur entsprechen zu können. Nicht zuletzt ein Stipendium im Engadin hat diese belletristische Entwicklung ermöglicht.

Die zentrale Liebesgeschichte ist romanhaft umrankt von anderen Figuren wie dem geheimnisvollen Cornelio oder den von der Großtante angenommenen Findelkindern Flora, Melina und Chaspar. Und auch wenn die Schicksale dieser Figuren berühren, bleibt das zentrale Liebespaar bestimmend. Wie Greta und Janis sich für den Moment halten, fühlt sich zeitlos ewig an. Diese Liebe bleibt trotz ihrer Aussichtslosigkeit leicht wie die leitmotivisch wiederkehrenden Schneeflocken. Und sie ist der Zeit enthoben: Vor acht oder einhundert Jahren. Auch das zart gesponnene Gebilde, das uns Sarah Kuratle mit ihrem Roman schenkt, ist wohl dem Mainstream des jetzt Geschriebenen enthoben und wird viele von den aktuell erschienen Büchern überdauern.


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