„Die Wahrheit“ – und die Nuancen der Lüge

Mit einer spritzigen französischen Komödie startet das Schauspielhaus Salzburg in die neue Theatersaison. Florian Zeller lässt seine Protagonisten lustvoll mit der Wahrheit jonglieren, denn „wer seinen Partner betrügt, der sollte wenigstens die moralische Größe haben, eine gute Lüge zu erfinden“. Die überaus vergnügliche Premiere fand am 15. September 2018 im ganz in Rosa gehaltenen „Rokoko-Studio“ statt.

Elisabeth PichlerVon Elisabeth Pichler

Seit sechs Monaten hat der verheiratete Michel ein für ihn völlig unbeschwertes und unkompliziertes Verhältnis mit Alice, der Ehefrau seines besten Freundes Paul. Alice jedoch reichen die wöchentlichen Treffen in einem Hotelzimmer nicht mehr, sie fordert ein gemeinsames Wochenende. Michel beschließt, eine Dienstreise vorzutäuschen, und Alice besucht angeblich eine Tante. Zu dumm nur, dass die Ehepartner ständig anrufen und das Tête-à-Tête stören. Haben sie vielleicht doch Verdacht geschöpft?

Alice bekommt immer mehr Schuldgefühle, nicht nur ihrem Mann Paul gegenüber, sondern auch gegenüber Michels Ehefrau Laurence. Das ständige Lügen setzt ihr gewaltig zu, doch Michel weiß sie zu beruhigen: „Du belügst ihn nicht, Alice. Du sagst ihm nur nicht die Wahrheit. Es wäre egoistisch, ihm die Wahrheit zu sagen, nur um dein Gewissen zu erleichtern.“ Als Michel jedoch feststellen muss, dass sein Freund schon lange von seinem Verhältnis gewusst hat, sieht sich der charmante Betrüger plötzlich in der Rolle des Opfers. Wie konnte man ihn nur so belügen?

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Der französische Romancier Marivaux (1688 bis 1763), einer der bedeutendsten Literaten der Frühaufklärung und des Rokoko, treibt in seinen Komödien die Kunst der Täuschung und Verstellung auf die Spitze. Regisseurin Anne Simon siedelt Zellers moderne französische Boulevardkomödie in eben dieser Zeit an und lässt die zwei Paare in einem entzückenden, in Hellrosa gehaltenen Rokoko-Boudoir ihr frivoles Spiel treiben und in aufwendigen, ebenfalls rosaroten Roben (Ausstattung: Agnes Hamvas) herumstolzieren.

Um dem Publikum Zeit zum Nachdenken zu geben, denn Lüge und Wahrheit vermischen sich ständig, wird die Handlung durch kurze Song-Passagen unterbrochen. Grandios Olaf Salzers Nuancierungskunst, wenn er als Michel seine Geliebte Alice (Christiane Warnecke) beschwört, ihrem Mann aus Rücksicht, Liebe und Respekt nicht die Wahrheit zu sagen. Köstlich auch seine Entrüstung und Empörung als betrogener Betrüger. Die Betrogenen selbst, Laurence (Susanne Wende) und Paul (Bülent Özdil), behalten ihre Geheimnisse lieber für sich oder deuten sie, zur großen Verunsicherung von Michel, nur an.

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Florian Zellers hinreißende Komödie überzeugt mit geschliffenen, pointierten Dialogen zum Thema Seitensprung. Die Frage, ob es nun vorteilhafter sei, die Wahrheit zu verschweigen oder sie zu sagen, kann dieser rundum vergnügliche Theaterabend leider nicht beantworten.

„Die Wahrheit“ von Forian Zeller. Regie: Anne Simon. Ausstattung: Agnes Hamvas. Mit: Olaf Salzer, Susanne Wende, Christiane Warnecke und Bülent Özdil. Fotos: Schauspielhaus/ Jan Friese

 

 

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