Herbert Dutzler: Die Welt war voller Fragen

Herbert Dutzler | Foto: Haymon Verlag/ Gisela Barrett

Herbert Dutzler | Foto: Haymon Verlag/ Gisela Barrett

Herbert Dutzler: Die Welt war voller Fragen

Autor: Herbert Dutzler
Titel: Die Welt war voller Fragen – Roman
ISBN: 978-3-7099-8416-1
Verlag: Haymon Verlag
Erschienen: 23.09.2023

Klappentext:

Ein Kind mit Wissensdurst und Erwachsene in Erklärungsnot.
Ich habe doch nur gefragt!

Siegfried ist ein Junge, der viele Fragen an die Welt hat, die ihn umgibt. Anstatt sein Interesse wertzuschätzen, schelten ihn seine Lehrer für die Neugierde und nennen ihn frech. Seine Neugier wird mit einer Verwarnung oder einem Eintrag ins Klassenbuch bestraft. Er kann nicht nachvollziehen, wieso seine Mama unbedingt arbeiten gehen und den Führerschein machen will und wieso Papa nicht im Haushalt hilft. Wieso die Erwachsenen grundsätzlich immer sagen „das verstehst du noch nicht“, wenn er es doch so gerne verstehen würde.

Über das Hinterfragen von Geschlechterrollen und alteingesessenen Traditionen.

Siegfried wächst im Österreich der 1960er auf. In einer Zeit, wo Langhaarfrisuren wie die von den Beatles von den Maturanten in Siegfrieds Schule getragen, aber noch kritisch beäugt werden. Das ist eine Zeit, in der Jungen wie Siegfried, Fußball spielen sollen. In der sich die Frau um den Haushalt kümmert und der Mann entscheidet, ob sie arbeiten gehen darf und in der die Kriegszeit noch so präsent ist, dass nicht viel darüber gesprochen werden darf.

Herbert Dutzler nimmt uns mit auf eine Reise in eine Vergangenheit, die noch gar nicht so lange her zu sein scheint. Durch die Augen des Buben schwelgen wir in Erinnerungen an die ersten Erfahrungen im Gymnasium, die magischen Weihnachtsfeiertage als Kind. Gleichzeitig erleben wir Diskussionen der Eltern, den Druck gesellschaftlicher Erwartungen und Momente der Trauer. Doch gemeinsam mit dem erwachsenen Siegfried von heute erkennen wir, dass sich seitdem – glücklicherweise – einiges geändert hat.

Anni Lemberger

Rezension von Anni Lemberger

Herbert muss das Haus seiner verstorbenen Mutter entrümpeln. Dabei fallen ihm viele Gegenstände in die Hände, die ihn gedanklich weit zurück führen. So schwelgt er in Erinnerungen der zu Ende gehenden 60er Jahre – und: Nicht immer war alles „eitel Sonnenschein“.

„Klein-Herbert“ war ein ungeduldiges, wissbegieriges und neugieriges Kind und das brachte ihm 1969 in der ersten Klasse eines oberösterreichischen Gymnasiums die eine oder andere Rüge ein. Das war eine Zeit, in der Kinder „meist in Form gehämmert, anstatt erzogen wurden“. Und es war vor allem eine Zeit, in der der Lehrkörper noch eine deutliche Braunfärbung aufwies, der vor allem Interesse daran hatte, ihre Nazi-Vergangenheit tot zu schweigen.

Als zufällig ein Oberprimaner und John Lennon-Fan, auf Herbert aufmerksam wurde und er danach unabsichtlich in deren Demonstration für Meinungsfreiheit (und das Recht auf lange Haare) am Schulhof hineinschlitterte, stellte er zu allem Übel auch noch die falsche Frage im Geographieunterricht. Es gab einen Eklat und Klein-Herbert mittendrin. Aber, einen weiteren Klassenbucheintrag konnte er sich nicht mehr leisten, denn dann hätte es eine Disziplinarkonferenz gegeben. Also wandte er sich in seiner Not an seine Klassenlehrerin.

Ein großartiger, nachdenklicher, aber auch sehr humorvoller Roman, der die späten Sechzigerjahre wieder wach werden lässt.

Dem Protagonisten dürfte Dutzler in seinem neuen Roman viele biografische Elemente mitgegeben haben. Die Schilderungen bilden die damalige Zeit authentisch ab: Vieles ist zum Schmunzeln, einiges zum Nachdenken, aber die Verdrängung und der Umgang mit der braunen Vergangenheit zu dieser Zeit, war einfach nur tragisch und traurig.

Herbert war mit seinen dicken Brillen und seinen ungewöhnlichen Hobbys ein absoluter Außenseiter in der Klasse. Er hasste Fußball, war fasziniert vom Apollo-Raumfahrtprogramm, liebte das Lesen von Abenteuergeschichten und vor allem auch Kochen, in einer Zeit als das Rollenverständnis anders definiert war.

Frauen mussten für ihre Berufstätigkeit die Unterschrift des Ehemannes einholen und die waren meist dagegen.

Was mir aber auch klar geworden ist – war, dass die patriarchale Haltung nicht nur eine persönliche Angelegenheit der Männer war, sondern sie fußte auf einer gesellschaftlichen  Erwartung an einen „guten Ehemann“. Ein Ehemann hatte genug zu verdienen, um sich „(s)eine (Haus)Frau leisten zu können. Herberts Vater gehörte zu jenen „ehrenvollen“ Männern, die seiner Frau die Emanzipation nicht erlauben wollte. Hingegen war Herberts Mutter eine durchsetzungsstarke Frau, die ihr Ziel erreichte – der tägliche, lautstarke Streit seiner Eltern stand somit auf der Tagesordnung. Herbert verbrachte deshalb viel Zeit bei seiner, oben im Haus wohnenden, väterlichen Oma, die ihm sehr viel Verständnis entgegen brachte.

Der Autor beschreibt viele Geschichten von Herbert mit großem Humor und ich kam nicht umhin, dabei beim Lesen lauthals zu lachen – und obwohl lustig erzählt, haben mich  einige Geschichten auch sehr nachdenklich gemacht.

Denn leider haben einige Lehrpersonen auf die eine oder andere (durchaus berechtigte) Frage mit wenig Humor reagiert, ganz besonders der Priester, als ihn Herbert fragte, damit Jesus in den Himmel aufgefahren sei – und Herbert war ja gedanklich mitten im Apollo-Raketenprogramm – wofür der humorbefreite Seelenhirten kein Verständnis zeigte, sondern  einen Klassenbucheintrag veranlasste….

Ein wunderbarer Roman über eine Zeit mit viel Nostalgie, aber auch mit viel Unverständnis gegenüber der heranwachsenden jungen Generation. Die Handlung spielt in zwei Zeitebenen, wobei die Schilderung des erwachsenen Herberts sich durch kursiven Druck abhebt. Der größte Teil des Buches beschreibt aber die retrospektive Sicht des Schulkindes Herbert.

Ein sehr gelungenes, gut lesbares, heiteres, aber auch nachdenklich machendes Buch.


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