Zur Erinnerung an Dieter Feichtner

Dieter Feichtner

Dieter Feichtner | Foto: © Archiv Günther Rabl

Der Salzburger Pionier am Synthesizer

Seine Kritiker verstiegen sich in den höchsten Tönen. Von genialster Musiker seiner Zeit war da die Rede. Von Hohepriester des Klanges und Pionier der elektronischen Musik.  Ein Mann wie ein Meteoriteneinschlag. Ein Sound-Gigantomane. Dieter Feichtner, der solchermaßen Gerühmte, hätte am 15. Juni 2023 seinen 80. Geburtstag gefeiert.

Claudia Karner

Von Claudia Karner

In Innsbruck geboren, kam Dieter Feichtner schon in jungen Jahren von Tirol nach Salzburg, wo seine Mutter Dietlinde im Bärengässchen im Stadtteil Mülln ein Mietshaus geerbt hatte, das im Laufe der Jahre zu einem legendären Künstlertreff und einer beliebten Studentenunterkunft werden sollte. Auch der jetzige Festspielintendant Markus Hinterhäuser wohnte als Musikstudent einige Jahre im Feichtner-Haus. „Ein großes Geschenk“, wie er sagt. Dieter studierte am Mozarteum Klavier, Kontrabass und Schlagzeug und probierte sich in verschiedenen Jazzformationen aus, fand aber erst in der elektronischen Musik seine wahre künstlerische Bestimmung.

Dieter-Feichtner

Foto: © Archiv Günther Rabl

Im Synthesizer-Raumschiff

Der Amerikaner Robert Moog, der auf den Bau von Thereminen  – das sind jene Instrumente, die man wie durch Zauberhand  berührungslos spielen kann –  spezialisiert war, hatte 1964 den analogen Synthesizer, den nach ihm benannte Moog-Synthesizer entwickelt.

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© Archiv Günter-Rabl

Das war das genau Richtige für den experimentierfreudigen Musiker. Sein Moog-Synthesizer bestand genau genommen aus mehreren Synthesizern und Effektgeräten, die ihm ein junger kreativer Techniker namens Georg Danozul zu einer Musikstation zusammengebaut hatte. Damit ließ sich alles kombinieren und steuern. Wie ein Commander eines Raumschiffs saß Feichtner in seiner blinkenden Kapsel und entlockte völlig losgelöst seinen Knöpfen, Tasten und Reglern die wundersamsten Sphärenklänge. Sein Spiel war einmalig und unwiederholbar. Als Meister der Improvisation schöpfte er aus dem Moment. Die Musikzeitschrift Melody Maker überschlug sich vor Begeisterung. “Mit seinem Moog-Synthesizer schuf Dieter Feichtner Klanglandschaften, von denen Joe Zawinul nur träumen kann”, stand da zu lesen. „Unübertroffen an Intensität und stilistischer Spannweite, die vom einfachen Volkslied bis zu experimentellen Klangwelten reichte.”

Feichtner nannte sein elektronisches Wunder-Instrumentarium zärtlich „Frau Moog“, streichelte, schüttelte und schlug sie und reizte sie zur vollen Entfaltung. Kein Wunder, dass es daneben  echte Frauen immer schwer hatten.

Eine besondere Klangwolke

Mit der Blasiuskirche und der Kollegienkirche in der Stadt Salzburg tat Alfred Winter, der Begründer der Szene der Jugend, Anfang der Siebziger Jahre den idealen Rahmen für Feichtners Konzerte auf. Winter hatte bei Erzbischof Karl Berg eine spezielle Bewilligung erwirkt. Der Erzbischof freute sich zwar über den großen Besucherandrang in der Kollegienkirche bei dem Konzert mit Friedrich Gulda, beschwerte sich aber danach über den süßlichen Geruch, der durch das Kirchenschiff gewabert war. „Es musste deshalb die Kirche neu geweiht werden“,  erinnert sich Winter. Friedrich Gulda übergoss Feichtner damals mit Lobhymnen: „Er ist der genialste Musiker seiner Zeit.“

Ausgehend von der Szene der Jugend fand Feichtner als Keyboarder rasch Anschluss an die internationale Szene. Es entstand eine Zusammenarbeit mit Jazz-Größen wie John Surman, Barre Philipps und Stu Martin. 1976 gastierte er ein Monat an der Pariser Oper, wo das Album „Mountainscapes“ entstand. Danach verbrachte der unzähmbare Freigeist ein Jahr mit seinem zu Wohnmobil und Musikmaschine umgebauten VW-Bus in den französischen Alpen und musizierte für sich, Gott und die Tiere, wie es Michael Stolhofer, langjähriger Chef der Szene der Jugend, in dem Buch „Schillerndes Leben in Salzburg“ formulierte.

Schießen Sie auf Feichtner?

Eine Zeitdokument besonderer Güte gelang Franz Paul Ebner mit dem Kurzfilm „Schießen Sie auf Feichtner?“, den er,  der große Feichtner-Fan und heutige erfolgreiche Werbe-Filmer, 1979 als Student der Wiener Filmakademie drehte. „Am Abend vor Drehbeginn war Dieter in seinem Element“, erinnert sich Ebner. „Er sprühte geradezu vor Ideen, was er alles machen wollte. Am nächsten Tag war die Begeisterung wie weggeblasen. Wir brauchten einen halben Tag, um ihn auf die Beine zu stellen.“ Am Ende entstand ein Porträt eines besonderen, lieben Menschen und begeisterten, sehr individuellen Musikers, so Ebner. Die Arbeit mündete in eine Freundschaft zu Dieter und dessen Mutter Dietlinde  – nicht nur ihrer großartigen Kochkünste wegen. Der Film wurde im ORF 1980 gesendet und bei den Österreichischen Filmtagen (heute: Diagonale) sowie im Filmkulturzentrum „Das Kino“ in Salzburg gezeigt.

Fotos: © Franz Paul Ebner

Eine Ausnahmeerscheinung in Salzburg

Auch mit dem Musiker und Komponisten Günther Rabl verband ihn eine jahrelange künstlerische Freundschaft. Auf seinem Landsitz im Waldviertel installierte Rabl eine eigene Aufnahmekonstruktion, wo Dieter Feichtner zu jeder Tages- und Nachtzeit, wann immer er Lust hatte, spielen konnte und Tonbänder hielten alles fest, was er hervorbrachte. Die Doppel-CD „Euphorismen“, die 1989 veröffentlicht wurde, bezeichnete Feichtner als sein Lebenswerk. Die Anthologie Vol. 1 „Direct Recordings von 1982 bis 1993“  umfasst 3 CDs und erschien bei Canto Crudo, dem Label von Günther Rabl. Sie ist heute noch erhältlich.

„Der musikalische Nachlass von Dieter besteht in über hundert Stunden Aufnahmen. Im Rahmen einer Abschlussarbeit an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien konnte er katalogisiert und digitalisiert werden. Aber es kommt immer wieder neues Material dazu. So wurde erst vor ein paar Monaten in einem Salzburger Keller eine Kiste voll mit Tonbändern und Kassetten gefunden, die erst ausgewertet werden müssen und wahrscheinlich auch restauriert.“

Foto: © Archiv Günther Rabl

Fast gänzlich unbekannt ist das bildnerische Werk, das Feichtner hinterlassen hat. „Ganz im Gegenteil zu seinem Hang zum Pompösen in der Musik sind seinen Zeichnungen und Aquarelle filigran und kleinformatig“, so Rabl.

Am 15. Juni hätte Dieter Feichtner seinen 80. Geburtstag gefeiert. Eine große Karriere blieb ihm verwehrt. Zu oft stand er sich selbst im Weg. In den letzten Jahren lebte der unbeugsame Einzelgänger sehr zurückgezogen – uneins mit sich und der Welt – in seiner Höhle im Bärengässchen. Das Jahr 2000 wollte er nicht mehr erleben. Was ihm aufgrund seines exzessiven Lebenswandels auch gelang. Er starb am 5. Dezember 1999, am gleichen Tag wie Mozart, im Alter von 56 Jahren. “Eine Ausnahmeerscheinung in Salzburg, ein Beispiel für einen kreativ Suchenden, der Grenzen überwand und an ihnen zerbrach“, brachte es Michael Stolhofer auf den Punkt.

Dieter Feichtner fand seine letzte Ruhe auf dem Salzburger Kommunalfriedhof – neben Dieti, seiner geliebten Mutter.  Blaue Akeleien und hohe Efeuranken überwuchern heute die Grabstätte, die von einem Obelisken dominiert ist. Dem Dieter würde der Wildwuchs gefallen. Da bin ich mir sicher. Der Maler Elmar Prack, Dietlindes Lebensgefährte, der in frühen Jahren Dieter sehr zu getan war, pflegte zu sagen: „Der Mensch ist vergänglich, das Kraut aber wird wachsen“. Wie recht er doch hatte! Aber manchmal überdauert auch die Musik die Zeit.

Konzert in Salzburg?

2024 jährt sich der Todestag zum 25. Mal. „Längst wäre ein großes akusmatisches Konzert in Memoriam Dieter Feichtner in Salzburg fällig!“, meint Freund Rabl. „Das Equipment dafür hätte ich und auch die Freunde und Freundinnen einer jüngeren Generation elektronischer Musik, für die Dieter, den sie nicht mehr persönlich kennenlernten, eine Legende ist, ein Hero, würden da sicher mitmachen. Als Location wären die Felsenreitschule oder das Steintheater angemessen. Im Moment sieht es so aus, als würde das Konzert nächstes Jahr eher in Innsbruck stattfinden.“

Wer nicht so lange warten will: Am 29. Juli ist in der alten Sägewerkshalle  in der Heumühle in Rapottenstein dem Ausnahmekünstler ein Abend gewidmet.

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