Verena Dolovai: Dorf ohne Franz

Verena Dolovai Fotocredits: Julia C. Hoffer

Verena Dolovai | Foto: © Julia C. Hoffer

Autorin: Verena Dolovai
Titel: Dorf ohne Franz – Roman
eBook-ISBN: 978-3-99120-041-3
Printversion-ISBN: 978-3-99120-035-2
Verlag: Septime Verlag
Erschienen: 12.02.2024

Klappentext:

Maria erinnert sich, wie sie in den 1960er-Jahren auf einem Bauernhof mit ihren Brüdern Josef und Franz im Dorf aufgewachsen ist. Während Josef, der Älteste, in die Fußstapfen des Vaters tritt, entzieht sich Franz, Nesthäkchen und Liebling der Mutter, den traditionellen Erwartungen des rauen Alltags.

Maria ist zerrissen zwischen Anpassung und Sehnsucht. Sie träumt von einem selbstbestimmten Leben außerhalb der engen Grenzen des Dorfes, bleibt aber, heiratet Toni und bekommt ein Kind. Mittellos und in Abhängigkeit gefangen, arbeitet Maria pflichtbewusst mit, wo sie gebraucht wird, und pflegt nahe Angehörige. Als Maria Toni eines Tages reglos am Boden vorfindet, sieht sie erstmals eine Chance, dem vorgezeichneten Leben zu entgehen.

Verena Dolovai erzählt in ihrem Roman von patriarchal geprägten dörflichen Strukturen und der Schwierigkeit, auszubrechen. Gelingt es Maria, das Dorf hinter sich zu lassen? Und wo ist eigentlich Franz?

Anni Lemberger

Rezension von Anni Lemberger

Maria wird Anfang der 60er-Jahre als zweitältestes Kind eines Kleinbauern im dörflichen Salzkammergut geboren. Ihr Bruder Josef ist ein Jahr älter, ihr Bruder Franz vier Jahre jünger. Während Josef der ganze Stolz des Vaters ist, ist Franz als Nesthäkchen das „Seelenkind“ der Mutter. Maria lernt von Kindes Beinen an, dass ihre Daseinsberechtigung ihre Arbeitskraft ist. Die einzige Zuwendung vonseiten ihrer Eltern ist das Anschaffen der Arbeit am Hof.

Marias beste Freundin kann aufgrund ihrer guten Noten eine höhere Ausbildung in einem Internat in der Stadt absolvieren, während Maria, die nicht so fleißig lernt, im Dorf bleibt und nicht über die Hauptschule hinauskommt.

Maria ist von der Sehnsucht nach einem Leben in der Stadt getrieben, hat aber nicht die Kraft, sich dem ländlichen patriarchalischen System und der dörflichen Einöde zu entziehen. Naiv unterschreibt sie einen Erbverzicht, sodass der Hof an ihren älteren Bruder Josef übergeht und Franz ausbezahlt wird. Maria bleibt mittellos zurück und unterwirft sich gezwungenermaßen den patriarchalischen Strukturen des dörflichen Diktats und widmet sich, so wie von Frauen der 60er-Jahre erwartet, den anfallenden „Care-Aufgaben“ und schlecht bezahlten Hilfsarbeiten.

Erst der Tod des alkoholabhängigen und schwer kranken Ehemannes öffnet die Türe aus dem dörflichen Gefängnis.

Ein unwahrscheinlich spannender, authentischer und einfühlsam geschriebener Roman aus dem vorigen Jahrhundert, als Frauen noch Anhängsel ihrer Männer waren.

Die Einleitung des Buches schildert das langersehnte Ausbrechen Maria’s, als sie nach ihrer Rückkehr ihren Mann tot am Boden liegend vorfindet und sie spontan die einengenden Strukturen des Dorfes hinter sich lässt. 

Die Protagonistin spiegelt das Paradebeispiel einer duldsamen, auf die Bedürfnisse von Eltern und Ehemännern ausgerichteten Frau der 60er-Jahre. Obwohl sie gerne aus dem Dorfleben ausbrechen möchte, stählt sie nur ihre Muskeln, um die schwere Arbeit leichter zu bewältigen. Auch bei der Wahl ihres Partners hat sie sich für den falschen Wirtssohn entschieden – und statt Wirtin zu werden, bleibt sie nur Handlangerin und Frau fürs Grobe. Die Respektlosigkeit gegenüber Frauen und Müttern überträgt sich auf ihre Tochter, die von ihr über alle Maßen verwöhnt wird und ihre Mutter schnell vergisst, nachdem sie in der Stadt lebt und das unstete Leben dort kennenlernt.

Marias jüngerer Bruder Franz verschwindet schnell aus dem Dorf, nachdem er sein geerbtes Geld in den Händen hält. Er kehrt noch einmal zurück, um sich von seiner schwer dementen Mutter zu verabschieden, deren Pflege Maria übernommen hat. Ob er vor einer möglichen Homosexualität flieht, die in diesem dörflichen Rahmen keinen Platz hätte, wird nur vage angedeutet.

Die Erzählung ist gut nachvollziehbar, denn sie gibt gut wieder, was damals oft wirklich geschah. Frauen wurden in der Erbfolge häufig übergangen, durften keinen Beruf erlernen und mussten ohne zu murren einfach funktionieren. Und doch liegt mir die Duldsamkeit der Protagonistin schwer im Magen, weil sie bis zum Tod ihres Mannes keinen Versuch unternimmt, ihre Situation zu verbessern.

Das Ende ist überraschend anders und die Autorin lässt den endgültigen Ausgang offen und überlässt es der Fantasie des Lesers, wie Marias Leben weitergehen könnte.

Was zunächst wie eine Autobiografie beginnt, entpuppt sich rasch als gut und authentisch dargestellte fiktive Romanerzählung, deren Botschaft sich oft zwischen den Zeilen verbirgt. Ich konnte das 168 Seiten starke, ausgezeichnet lesbare und spannende Buch erst nach der letzten Seite aus der Hand legen.

Dankbar bin ich nicht nur für das große Lesevergnügen, sondern auch für die Erkenntnis, was sich in den vergangenen 60 Jahren im Hinblick auf Frauenrechte und Respekt gegenüber Frauen getan hat. Dafür gebührt den Vorkämpferinnen ein großer Dank, denn ein Buch wie dieses macht die Veränderungen deutlich.


Dorfgockel

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