Alles längst Geschichte – der Tod eines Hauses und seiner Bewohner

Gervasi HausDas Gervasihaus mit bei uns untypischer Bauweise. In jedem Stockwerk geht traufenseitig ein Gang quer durch das ganze Haus. Eingang rechts, Außentreppe ins Obergeschoss links. Alle Fotos: Archiv Wolfgang Bauer

Am Rande von Bürmoos dämmert ein altes Haus an einem Waldrand dem Verfall entgegen. Es steht seit fast vierzig Jahren leer und hat eine für Bürmoos lange Geschichte. Die einstigen Bewohner starben nach und nach, als letzte Bewohnerin Anna Gervasi im Jahr 1980.

Wolfgang Bauer

Von Wolfgang Bauer

Das um 1890 von unbekannten Maurern erbaute Haus, dem Baustil nach wahrscheinlich Italienern, wurde 1896 von dem aus Nimis in Norditalien stammenden Anton Gervasi (Antonio Davide Gervasi 1856 – 1928) zusammen mit einem größeren Grundstück erworben. Dieses Grundstück lag genau an der Grenze der Katastralgemeinde Lamprechtshausen zu St. Georgen, die mitten durch den Ort Bürmoos verläuft. Das Gervasihaus ist wohl das älteste, original erhalten gebliebene Einfamilienhaus in Bürmoos und eines der am besten dokumentierten.

Kurz nach dem Kauf des Hauses 1896 wurde die Lokalbahn nach Salzburg gebaut, die das Grundstück durchschnitt. Jenen Teil des Grundes, der jetzt auf der anderen Seite der Bahn lag, kaufte der Glasfabriksbesitzer Ignaz Glaser, der dort eine Ziegelei mit Bahnanschluß errichten wollte. Für die Kaufsummen von Bahn und Fabriksherr konnte Gervasi den aufgenommenen Kredit rasch zurückzahlen. S

Das Gervasi-Haus

Anton Gervasi war in jungen Jahren wie viele Andere ins Innviertel gekommen, um hier als Torfstecher oder Ziegelschlager zu arbeiten. Bei uns wurde der Name übrigens immer so ausgesprochen, wie er geschrieben wird, während die korrekte Aussprache Dschervasi wäre.

Zuerst arbeitete er beim Gut Ibm (Gemeinde Eggelsberg), kam dann 1888 oder 1889 nach Bürmoos. Die zweite Tochter Angela ist im Februar 1888 noch in Ibm geboren, die dritte Tochter Ottilia im Dezember 1889 bereits in Bürmoos. Bei der Geburt der ersten Tochter Amalia war die Mutter Ottilia Stachl übrigens erst knapp 17 Jahre alt. Bei der Hochzeit sechs Monate später wurde das Kind legalisiert. Dies dürfte auch der Grund gewesen sein, dass ein italienischer Saisonarbeiter die Chance erhielt, die Tochter eines einheimischen Tischlers und Häuslers zu heiraten. Solche Mischehen waren äußerst selten.

Das Ehepaar Ottilia Stachl aus Ibm, Gemeinde Eggelsberg und der italienische Gastarbeiter Anton Gervasi. Die 17-jährige Braut hatte bei der Hochzeit bereits eine 6 Monate alte Tochter.

In Bürmoos arbeitete Gervasi als Agent für die Anwerbung italienischer Torfstecher, als deren Dolmetsch und auch als Vertreter der Bürmooser Glaserzeugnisse in Italien.

Anton Gervasi war lange im Dienst des Glasfabriksbesitzers, der auch die Ziegelei, je eine Landwirtschaft in Bürmoos und Ibm und ab 1901 eine zweite Glashütte in Hackenbuch betrieb. Von seinen sechs Kindern verliert sich die Spur der ältesten Tochter bald, der Sohn kehrt in die Heimat der Väter in Italien zurück und die anderen vier Töchter leben bis zur Hochzeit oder bis an ihr Lebensende in dem Haus in Bürmoos. Gervasi erhielt, ebenso wie die vier hier lebenden Töchter, 1925 die österreichische Staatsbürgerschaft.

Die jüngste Tochter Anna (1904 – 1980) besuchte die Frauengewerbeschule für Weißnähen und Kleidermachen in Salzburg. Sie war recht hübsch und hatte in ihrer Jugendzeit eine Menge Verehrer, wie zahlreiche Briefe beweisen. Sie blieb jedoch unverheiratet. Mit dem legendären Bürmooser Pater Felix (Bruno Osendorfer) hatte sie bis zu seinem Tod im Jahr 1971 Kontakt. Ein anderer guter Bekannter von ihr war Dr. Emil Sprenger, Gemeindearzt in Lamprechtshausen, der eine undurchsichtige Rolle im Hintergrund beim Naziputsch 1934 in Lamprechtshausen spielte. Er kam nach dem Krieg in ein Umerziehungslager für Nazis in Bayern, arbeitete später aber als Regierungs-Medizinaldirektor auf der deutschen Insel Fehmarn und starb 1976. Auch mit ihm hatte sie bis zu dessen Tod Kontakt.

Anna Gervasi mit 15 Jahren.  Sie war die jüngste der Schwestern  und hatte auch die beste Ausbildung.
Anna Gervasi mit 15 Jahren. Sie war die jüngste der Schwestern und hatte auch die beste Ausbildung.

Bei den Vorbereitungsarbeiten des Vereins Geschichte für die Errichtung eines Museums stießen wir im Jahr 2008 auf dieses Haus. (Das Torf- Glas- Ziegelmuseum in Bürmoos wurde 2013 eingeweiht). Nach vielen Anrufen und Schreiben gelang es mir schließlich, von der damaligen Besitzerin, die mit den Gervasi weder verwandt noch verschwägert war, die Erlaubnis zum Verwerten des Inventars und aller sonstigen vorgefundenen Sachen zu erhalten – betreten des Hauses aber auf eigene Gefahr. Ein Glücksfall für uns. Endlich gelang es, ein Haus zu dokumentieren, ohne daß bereits die Abrissbagger vor der Türe warteten.

Der Aufwand für die Erlaubnis zur Verwertung hat sich gelohnt! In einer kleinen Gruppe oder von mir allein wurde das Haus dokumentiert, vermessen, fotografiert, die für unseren Verein interessanten Sachen ausgelagert.

Mein Hauptaugenmerk dabei galt vor allem den schriftlichen Sachen, die wild zerstreut im ganzen Haus herumlagen. Manches verstaubt und verdreckt am Boden, vieles im Erdgeschoß war feucht, manches auch in Zeitschriften eingelegt, die dutzendweise herumlagen. Diese letztere Art der Lagerung hat wohl auch so manches Dokument vor Zerstörung oder Diebstahl gerettet, denn in den vielen Jahren, seit das Haus leerstand, haben sich nicht nur Jugendliche darin aufgehalten, sondern sich auch andere „Liebhaber“ alter Sachen reichlich bedient. Das Inventar war wild durcheinander geworfen und bedeckte den Boden teilweise meterhoch.

Ein Teil der ehemaligen Küche. Die Arbeit war nur mit Handschuhen und teilweise mit Atemmaske durchführbar.

Was aber kam da alles zum Vorschein, nachdem ich die Papiere gereinigt, getrocknet und sortiert hatte: Ein Stammbaum zurück bis 1770, Reisepässe, Schulzeugnisse, Dokumente, persönliche Briefe – teilweise in Italienisch, Rechnungen, Fotos, Testamente…

Auch einfache Möbelstücke und altes Geschirr waren vorhanden, die wir gut für die Darstellung einer Arbeiterwohnung im Museum brauchen konnten. Fotoalben und Porzellan waren aber nicht mehr auffindbar.

Nun steht dieses Relikt einer längst untergegangenen Ära der Bürmooser Geschichte seit fast vierzig Jahren leer. Undenkbar heute, dass so viele Leute in einem Haus gewohnt haben, das kein Badezimmer und nur ein jeweils außenliegendes WC und ein Plumpsklo hatte. Gebaut war es aber stabil. In den Fenstern waren noch einige mundgeblasene Scheiben der 1930 in Konkurs gegangenen Glashütte und auf dem Dach Schindeln des 1927 ebenfalls in Konkurs gegangenen Ringofens (Ziegelei) des Hermann Glaser.

Auch den gewaltigen Hagelsturm aus dem Jahr 2009 überstand das Haus ohne gravierende Schäden. Schlimmer ist der feuchte Untergrund. Im Brunneschacht des Gartens steht das Grundwaser bis einem Meter unter der Erdoberfläche. Der Abfluß des Bürmooser Sees und der Bahn rinnt nahe an dem Haus vorbei zum Pladenbach. Der See, bei den alten Bürmoosern noch immer „Loamgruabm“ genannt, entstand durch die Lehmentnahme für die nahegelegene Ziegelei.

Der Gang im Erdgeschoß. Ein mutwillig 
herbeigeführter Wasserschaden durch 
ungebetene Besucher ließ die Treppe 
ins OG abfaulen.
Der Gang im Erdgeschoß. Ein mutwillig herbeigeführter Wasserschaden durch ungebetene Besucher ließ die Treppe ins OG abfaulen.

Den heutigen Zustand des Hauses könnte man mit dem Spruch von Karl Valentin beschreiben: „Die Zukunft war früher auch besser“. Eine wackelige Außentreppe, morsche Tramdecken mit wurmstichigen Bodenbrettern, eine abgefaulte Stiege innen, Glassplitter überall und im Hof ein nicht abgedeckter Brunnen sollte eigentlich Unbefugte vom Besuch abhalten.

In der Erbauungszeit des Hauses lebten in der Industriesiedlung Bürmoos im Winter nur einige hundert Leute, hauptsächlich Glasarbeiter mit ihren Familien. Im Sommer stieg die Zahl durch saisonal beschäftigte Torfstecher, Ziegelarbeiter und Hopfenpflücker auf bis zu tausend Personen. Heute leben hier rund 5000 Einwohner auf gleichem Raum problemlos zusammen. 650 davon sind Ausländer aus 50 Nationen und aus allen fünf Erdteilen, wobei sich die 210 Deutschen ja nur durch die gleiche Sprache unterscheiden.

Weiterführende Infos zur Geschichte von Bürmoos:
(Restexemplare beim Autor erhältlich: wolfgang1.bauer@aon.at )


Damit es nicht verlorengeht. Band 3 – fast vergessen.“ handeln die Seiten 103 bis 202 von diesem Thema (Antonio Davide Gervasi – Agent aus Trient). 263 S, 2012, € 12.–
Mitten unterm Gulaschkochen – heitere und besinnliche Gedichte von Pater Felix Osendorfer“. Mit Kurzbiographie. 92 S, 2012, € 7.–
Diesen Artikel empfehlen. Teilen mit:

Dorfladen

1 Kommentar zu "Alles längst Geschichte – der Tod eines Hauses und seiner Bewohner"

  1. Jetzt, wo ich selbst ein fortgeschrittenes Alter erreicht habe, finde ich solche Geschichten sehr interessant.

Hinterlasse einen Kommentar