Alles schon dagewesen

Typhusdenkmal in Bürmoos - jetzt an der evangelischen Kirche

Epidemien in Bürmoos

Der Corona-Virus schränkt derzeit unser Leben sehr ein. Es wird alles unternommen, um eine Ausbreitung zu verhindern. Dabei gerät die Grippeepidemie, die gleichzeitig grassiert, fast in Vergessenheit. Dabei sind von der Grippe weit mehr Leute betroffen, bei gleicher Risikogruppe. An der Grippe erkrankten bis Anfang März 2020 rund 245.000 Menschen und es gab bereits 640 Tote.

Von Wolfgang Bauer

Grippe- und Coronavirus werden aber bei weitem nicht die Epidemien mit den meisten Opfern in Bürmoos werden.  Am Schicksal meines Vaters Alois Bauer, Jahrgang 1899, kann ich die Seuchen darstellen, die unseren jungen Ort Bürmoos im Laufe der Zeit heimsuchten.

Seit 1872 gab es hier mitten im Moor eine Glasfabrik. Eine häufige Todesursache bei den Glasmachern war Tuberkulose. Die Glasbläserpfeife wurde in den Arbeitsgruppen von Mund zu Mund weitergegeben und so der Nächste angesteckt. Diese wiederum übertrugen sie zu Hause an die Familie usw.

Das Haus meines Großvaters lag abgelegen im Wald. Auch er arbeitete in der Glashütte. Zeitweise wohnte mein Großonkel, der Glasbläser Jordan Pfeiffer, im Bauernhaus meines Urgroßvaters, nur hundert Meter entfernt vom Haus des Großvaters. Jordan Pfeiffer starb mit 32 Jahren an TBC und hinterließ eine Frau und fünf Kinder, die beim Urgroßvater weiter wohnen konnten. Mein Vater und seine Geschwister spielten oft mit den Pfeifferkindern, wurden aber nicht angesteckt. Später starb aber Jordans Tochter Maridel Pfeiffer, die Braut des Malers und Schriftstellers Georg Rendl, ebenfalls an TBC.

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Georg Rendl am Krankenbett von Maridel Pfeiffer

Im Jahr 1913 wurde der Hauptsitz der Glashütte nach Brüx in Nordböhmen verlegt. Die Ortsbevölkerung schrumpfte, weil viele Glasmacher ebenfalls dorthin zogen.

Dann kam der Erste Weltkrieg, die nächste lebensbedrohliche Seuche die uns heimsuchte. Als mein Vater 18 Jahre alt war, „durfte“ er ebenfalls einrücken. Er überstand dieses gegenseitige Abschlachten unverletzt, aber aus unserem Ort starben 29 Soldaten auf dem „Feld der Ehre“.

Als mein Vater aus dem Krieg heimkam wütete hier bereits die nächste Epidemie. Von 1918 bis 1920 verursachte die Spanische Grippe weltweit 35 bis 50 Millionen Tote – weit mehr als der Erste Weltkrieg Opfer gefordert hatte. Genaue Daten liegen für unsere Gemeinde nicht vor. Zahlreiche Todesfälle unter der ausgehungerten und unterversorgten Bevölkerung wurden wohl nicht nur als Grippe, sondern auch als Pneumonie, Altersschwäche oder bei Kindern als Lebensschwäche in den Pfarrmatriken registriert.

Matrikeneintrag: Rosa Hofbauer, gest. 15.11.1918 an Lungenentzündung nach Grippe

Im zweiten Weltkrieg hatte mein Vater wieder die Ehre, für den verbrecherischen Kriegstreiber aus Braunau die Uniform anziehen zu dürfen. Auch diese Seuche überstand er mit viel Glück. Sein Bruder Hermann hatte weniger Glück, er starb in einem Lazarett. Unser kleiner Ort aber mußte an achtzig gefallene Soldaten auf einer Gedenktafel erinnern.

Die nächste Epidemie traf uns wiederum nach Ende eines Krieges. Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg waren die Menschen wieder unterernährt, geschwächt und daher anfällig. Dieses Mal war es Typhus, der uns traf. Woher die Krankheitserreger eingeschleppt wurden, läßt sich nicht feststellen. Es könnten heimkehrende Soldaten gewesen sein, Flüchtlinge oder Vertriebene, aber auch Besatzungssoldaten.

Rund 300 Leute erkrankten hier 1945 an Typhus. Sie wurden in zwei etwas abseits gelegenen Baracken untergebracht und isoliert, in denen vorher Fremdarbeiter interniert waren. Auch hier gab es keine wirksamen Medikamente zur Behandlung. Zwanzig erkrankte Personen  starben an der Seuche. Darunter auch Annelise Nusser, geb. Schmidt, eine 24 Jahre alte Großkusine von mir, die eine dreijährige Tochter hatte.

Typhusdenkmal in Bürmoos – jetzt an der evangelischen Kirche

So hatte mein Vater die „Ehre“, alle großen Seuchen des 20. Jahrhunderts, die unseren Ort heimsuchten, miterleben zu dürfen.

Jetzt (Mitte März 2020) haben uns mit der abflauenden Grippewelle und der noch immer steigenden Corona Pandemie gleich zwei Seuchen gleichzeitig heimgesucht. Mit Galgenhumor könnte man mit einem alten Spruch feststellen: „Die Lage ist hoffnungslos aber nicht ernst“ oder mit Angela Merkel: „Wir schaffen das“. Mit Vorsicht, Disziplin und etwas Glück könnte Bürmoos diese Zeit sogar ohne seuchenbedingte Todesfälle überstehen.

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1 Kommentar zu "Alles schon dagewesen"

  1. Hannah buermooserin | 22. März 2020 um 10:15 |

    Lieber Wolfgang Bauer, nach dem Durchlesen Ihres Artikels habe ich erstmals das Typhusdenkmal bewusst angeschaut. Kaum zu glauben, wie oft ich da schon vorbeigegangen bin, ohne es wirklich zu bemerken.

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