In „Spielplanänderung! 30 Stücke, die das Theater heute braucht“ (Hrsg. Simon Strauss) schreiben bekannte deutsche Künstler über Stücke, die zu Unrecht in Vergessenheit geraten sind, aber dringend auf die Bühne gehören. Dörte Lyssewskis Beitrag betrifft das radikale, sozialkritische Stück von Jakob Michael Reinhold Lenz (1751-1792), das viele Aspekte des Sturm und Drang aufgreift. Nun gibt sie in den Kammerspielen des Salzburger Landestheaters damit ihr Regiedebüt. Drei Stunden intensivstes Theater und ein begeistertes Publikum bei der Premiere am 23. September 2021.

Der cumbanische Prinz Tandi reist durch Europa und will „Land und Leute“ kennenlernen, um zu Hause in Hinterindien ein besserer Regent zu sein. In Naumburg logiert er bei dem Seidenraupenzüchter Herr von Biederling. Dieser will sein Bestes tun, um den Edlen zu beeindrucken. Doch Prinz Tandi merkt rasch, dass es mit der aufgeklärten Geisteshaltung in diesem Haus nicht weit her ist. „Wahrheit, Größe und Güte“ wird er hier wohl nicht finden. ___STEADY_PAYWALL___
Besonders niederträchtig und unsympathisch gibt sich ein weiterer Gast, der finstere Graf Camäleon, der hinter Wilhelmine, der lieblichen Tochter des Hauses, her ist. Da muss der Prinz eingreifen, denn auch er findet die junge Dame ganz reizend. Herr von Biederling ist begeistert. Ein echter Prinz für sein Töchterlein, da kann er nicht nein sagen und so folgt eine Blitzheirat. Alles scheint bestens, bis Herr von Zopf, ein Edelmann aus Tirol, mit sensationellen Neuigkeiten auftaucht. Der verloren geglaubte Sohn der Biederlings wurde endlich gefunden und nun stellt sich heraus, dass Prinz Tandi und Wilhelmine Geschwister sind.
Nachdem es sich hier um eine äußerst groteske Komödie handelt, löst sich nach anfänglichem Kummer doch alles in Wohlgefallen auf, denn Wilhelmine wurde als Kind vertauscht und so sind sie nicht Bruder und Schwester. Graf Camäleon hingegen ereilt die Rache seiner temperamentvollen Gattin, der spanischen Gräfin Diana.
Skye MacDonald verkörpert als Prinz Tandi einen aufgeklärten, edlen Wilden, der seinen langen, weißen Plisseerock mit Würde trägt. Der Unterschied zwischen ihm und den von der Zivilisation verdorbenen Menschen ist unübersehbar, da können sich Herr und Frau von Biederling (Axel Meinhardt und Tina Eberhardt) noch so anstrengen. Marco Dott überzeugt als Widerling, sein Graf Camäleon erzeugt Gänsehaut. Seine Gattin (temperamentvoll und stets wütend Judith Mahler) ist mit ihrer Amme Babet (Britta Bayer) ständig unterwegs, um ihren treulosen Gatten zu stellen.
Dörte Lyssewski gelingt es mit 37 kleinen Szenen, großartige, eindrucksvolle Bilder zu schaffen, teils ruhig und berührend, dann wieder wild und gewalttätig. Wie versprochen wird „sich verliebt, verführt, vergewaltigt, getäuscht, gemordet, physisch und verbal bedroht, gewürgt, erpresst, gestohlen, Wort gebrochen, bestochen, vergiftet (Kakao), geflüchtet, räsoniert, getreten und ausgepeitscht…“ Und das alles in einem Raum mit schwarzen Wänden und vielen Türen für die unzähligen Auf- und Abtritte (Bühne und Kostüme: Eva Musil). Dieser Theaterabend in den Kammerspielen hat viel zu bieten, denn zehn großartige Schauspieler und eine tolle Inszenierung garantieren beste Unterhaltung. Da kann man dem Stück kleinere Schwächen schon verzeihen.
„Der neue Menoza“ oder Geschichte des cumbanischen Prinzen Tandi von Jakob Michael Reinhold Lenz. Eine Komödie. Premiere: 23.09.2021 Kammerspiele. Inszenierung: Dörte Lyssewski. Bühne und Kostüme: Eva Musil. Mit: Axel Meinhardt, Tina Eberhardt, Patrizia Unger, Skye MacDonald, Marco Dott, Judith Mahler, Britta Bayer, Christoph Wieschke, Aaron Röll, Martin Trippensee. Fotos: © SLT / Tobias Witzgall
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